Entscheidungsstichwort (Thema)
einstweilige Anordnung. Leistungen für vergangene Zeiträume -Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Anwendbarkeit von § 264 Abs 2 SGB 5. Hilfe zur Pflege. Bewilligungsbescheid. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Beweislast bei Fehlerhaftigkeit oder Änderung der Verhältnisse -eheähnliche Gemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei einer Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach § 44 Abs 1 SGB 12 "bis auf weiteres".
Orientierungssatz
1. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dient an sich nicht dazu, einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen, es sei denn, dies erscheint zur Beseitigung einer bis in die Gegenwart fortwirkenden Notlage notwendig (vgl OVG Schleswig vom 13.1.1993 - 5 M 112/92).
2. § 264 Abs 2 SGB 5 ist nicht bei der im Vierten Kapitel des SGB 12 geregelten Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung anwendbar.
3. Unter dem Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft ist nur eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau zu subsumieren, während gleichgeschlechtliche Partnerschaften von § 19 Abs 2 S 2, § 20 und § 43 Abs 1 SGB 12 lediglich im Falle einer eingetragenen Lebenspartnerschaft erfasst werden und ansonsten nur über § 36 SGB 12 im Rahmen der etwaigen Bedarfsdeckung durch eine Haushaltsgemeinschaft Bedeutung erlangen können.
4. Für die Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB 12 ist bezüglich des Einkommens- und Vermögenseinsatzes neben der Bedürftigkeitsgrenze auch der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit maßgeblich.
5. Die objektive Beweislast für die anfängliche Fehlerhaftigkeit die Bewilligung oder die wesentliche Änderung der Verhältnisse zuungunsten des von der früheren Bewilligung Begünstigten trägt die Behörde.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 15. August 2005 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Fortzahlung der Grundsicherung bei dauerhafter Erwerbsminderung und der Hilfe zur Pflege.
Die 1967 geborene Ast. ist ab dem 6. Brustwirbelkörper gelähmt (Parese der Beine und Funktionsstörungen im Darm- und Blasenbereich); vor einem Mitte Mai 1996 erlittenen Verkehrsunfall war sie zuletzt als freie Handelsvertreterin tätig. Die Ast. ist seit Februar 1998 als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 100 (Nachteilsausgleiche „B" und „G") anerkannt; nach einem von der privaten Pflegeversicherung in Auftrag gegebenen Verschlimmerungsgutachten besteht seit Juli 2003 Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe II. Nach Zuzug aus dem Landkreis R. bezog die Ast. von der Antragsgegnerin (Ag.) ab Juli 2003 Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (vgl. zuletzt Bescheid vom 21. Januar 2004) sowie außerdem Hilfe zur Pflege (Pflegegeld und Sachleistungen für Pflegeperson) nach dem Bundessozialhilfegesetz - BSHG - (vgl. Bescheid vom 1. Oktober 2003).
Durch Bescheid vom 31. Januar 2005 bewilligte die Ag. ab 1. Januar 2005 „bis auf weiteres" nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von 1.172,19 € sowie Leistungen der Hilfe zur Pflege (Pflegegeld) in Höhe von 137,00 €. Wegen der Erhöhung der Beiträge zur privaten Krankenversicherung ab Januar 2005 gewährte die Ag. sodann mit Bescheid vom 10. März 2005 rückwirkend ab 1. Januar 2005 - ebenfalls „bis auf weiteres" - Leistungen zur Grundsicherung in Höhe von 1.178,34, ein Pflegegeld von 137,00 € und außerdem Sachleistungen für eine private Pflegeperson, befristete diese Leistungen jedoch zunächst bis 31. Mai 2005, weil noch zu klären sei, ob die Ast. mit ihrer Pflegeperson Y.G. in einer Lebens-, Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft lebe. Die Befristung der Zahlungen hob die Antragsgegnerin freilich im Schreiben vom 22. März 2005 „vorläufig" wieder auf, behielt sich allerdings eine neuerliche Prüfung für den Fall künftiger Anhaltspunkte für eine derartige Gemeinschaft vor. Anfang Mai 2005 erhielt die Ag. über die Kfz-Zulassungsdatei die Auskunft, dass die Ast. seit 5. Juli 2004 Halterin eines Leichtkraftrades der Marke Yamaha (Erstzulassung April 2002, amtliches Kennzeichen ) sowie seit 18. Oktober 2004 Halterin eines Kraftrades der Marke Harley-Davidson (Erstzulassung August 2003, amtliches Kennzeichen ) sei. Durch Bescheid vom 2. Juni 2005 teilte die Ag. der Ast. mit, dass die bisher gewährten Leistungen der Grundsicherung und der Hilfe zur Pflege ab dem 1. Juni 2005 „eingestellt" würden; zur Begründung wurde ausgeführt, nach den vorliegenden Unterlagen verfüge die Ast. über Vermögen in Form von zwei Motorrädern, wobei davon auszugehen sei, dass mit diesen Fahrzeugen die Vermögensfreigrenze überschritten werde. Mit ihrem Widerspruch verw...