Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Praxisbesonderheit. Quantifizierung des Mehraufwandes. Schätzung durch Prüfgremien. Angabe in Honorarkürzungsbescheid
Orientierungssatz
1. Die Auswirkungen von kostenerhöhenden Praxisbesonderheiten, die bekannt sind oder anhand von Behandlungsausweisen oder Angaben des Arztes erkennbar sind, müssen bestimmt werden, ehe sich auf der Grundlage der statistischen Abweichung eine verläßliche Aussage über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Behandlungs- oder Verordnungsweise treffen läßt. Zu diesem Zweck ist regelmäßig der auf die festgestellte Praxisbesonderheit entfallende Kostenanteil von dem Gesamtfallwert abzuziehen und - ausgehend von dem danach verbleibenden Fallwert - die jeweilige Überschreitung im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt zu ermitteln. Für die anschließend vorzunehmende Bestimmung der Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis ist der Fallwert der Fachgruppe zugrunde zu legen (vgl BSG vom 18.06.1997 - 6 RKa 52/96 = SozR-2500 § 106 Nr 41).
2. Bei der Quantifizierung des Mehraufwandes, der durch eine anerkannte Praxisbesonderheit berechtigt ist, kann sich der Beschwerdeausschuß einer Schätzung bedienen. Dabei ist es ausreichend, aber auch erforderlich, die Grundlagen für die Schätzung und die aus ihnen gezogenen Schlußfolgerungen in nachvollziehbarer Weise in der Begründung des Bescheides anzugeben (vgl BSG vom 8.5.1989 - 6 RKa 4/94 = SozR 2200 § 868n Nr 36).
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise der Klägerin im Quartal 3/94 streitig.
Die Klägerin ist in H als HNO-Ärztin niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Quartal 3/94 behandelte sie insgesamt 1247 Patienten (Mitglieder: 627 = 50,3 %; Familienversicherte: 426 = 34,2 %; Rentnerversicherte: 194 = 15,5 %), die Fachgruppe 1274 Patienten (Mitglieder: 636 = 49,9 %; Familienversicherte: 334 = 26,2 %; Rentnerversicherte 304 = 23,9 %). Die Honoraranforderung je Fall betrug bei der Klägerin 896,4 Punkte (Fachgruppe: 834,8 Punkte).
Die von der Klägerin veranlaßten Verordnungskosten für Arzneimittel beliefen sich auf 30,12 DM pro Patient. Der Durchschnitt der Fachgruppe lag bei 16,54 DM. Damit hatte die Klägerin im Vergleich zur Fachgruppe um 82,1 % höhere Arzneiverordnungskosten.
Mit Schreiben vom 26.06.1995 beantragten die Beigeladenen zu 6 und zu 7 (Ersatzkassenverbände) die arztbezogene Prüfung der Verordnungsweise nach Durchschnittswerten. Die Klägerin nahm zum Prüfantrag Stellung und wies auf besonders kostenintensive Patienten sowie eine besondere Zusammensetzung des Patientenguts (geringer Anteil älterer Patienten; überdurchschnittlich viele Allergiepatienten) hin.
Mit Beschluß vom 05.12.1995/Bescheid vom 19.01.1996 setzte der Prüfungsausschuß der Ärzte und Krankenkassen einen Regreß in Höhe von 6.290,49 DM fest: Die Klägerin überschreite bei den Verordnungskosten den Fallwert der Fachgruppe um 82,1 %, wobei die Vergleichswerte rentnergewichtet seien. Damit überschreite sie die bei 50 % zu ziehende Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis. Die Überschreitungen seien auf die Verordnung besonders kostspieliger Medikamente zurückzuführen. Überschreitungen bis zur Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis könnten belassen werden. Aus den Überschreitungen (DM 5,31 je Fall) abzüglich 5 % Apothekenrabatt errechne sich die Regreßsumme.
Die Klägerin erhob am 21.01.1996 Widerspruch, mit dem sie wiederum auf besonders kostenintensive Patienten und eine besondere Zusammensetzung des Patientenguts hinwies. Der geringere Rentneranteil wirke sich zu ihrem Nachteil aus, weil bei HNO-Ärzten die Medikamentenkosten für Rentner weitaus geringer seien als bei jungen Patienten. Auch der überdurchschnittliche Allergikeranteil von 19 % der Patienten führe zu hohen Arzneikosten. Sie wies auf besonders kostenintensive Allergiepatienten hin.
Mit Beschluß vom 13.08.1996/Bescheid vom 03.09.1996 änderte der Beschwerdeausschuß der Ärzte und Krankenkassen den Beschluß des Prüfungsausschusses ab und senkte den Regreßbetrag auf 1.397,89 DM (75 % Überschreitung abzüglich 5 % Apothekenrabatt). Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, bei den aufgeführten kostenintensiven Fällen könne ein erhöhter Verordnungsbedarf durchaus gerechtfertigt sein. Dieser sei jedoch durch die dem statistischen Vergleich zugrundeliegende Durchschnittsberechnung bereits berücksichtigt, da auch andere Ärzte der Fachgruppe schwere Fälle zu betreuen hätten. Auch die besondere Altersverteilung sei dadurch berücksichtigt, daß die Vergleichswerte rentnergewichtet worden seien. Dies gelte auch in dem Fall, in dem jüngere Patienten kostenintensiver seien. Durch die Hausärzte ungenügend vorbehandelte Patienten wiesen auch andere Ärzte der Fachgruppe auf. Zu berücksichtigen sei jedoch der überdurchschnittlich hohe Anteil von Allergiepatienten und die Vor- und Nachbehandlung von Patienten bei Siebbeinoperationen, weil der Verordnungskostenaufwand bei Patienten die...