Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Anwendbarkeit des § 929 ZPO. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Abgrenzung der Hilfe zur Schulbildung von der schulischen Ausbildung. Angemessenheitsmaßstab. weiterführende Schule. Leistungsausschluss bei Leistungen der Ausbildungsförderung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anwendung des § 929 Abs 2 ZPO setzt einen Titel mit vollstreckungsfähigem Inhalt voraus.
2. Die Abgrenzung der sozialhilferechtlichen Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (§ 54 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12) und der Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf (§ 54 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 12) ist allein nach dem Bildungsziel - Vermittlung eines schulischen oder beruflichen Abschlusses - vorzunehmen.
3. Maßstab für die Angemessenheit einer Schulbildung an einer weiterführenden Schule ist § 12 Nr 3 Halbs 2 SGB12§60V; entscheidend ist sonach, ob nach den Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, dass er das Bildungsziel erreichen wird.
4. Für nicht behinderungsbedingte Aufwendungen kann die sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe nicht verlangt werden. Deshalb besteht ein Anspruch auf Eingliederungshilfe jedenfalls nicht, sofern und soweit der behinderte Mensch Leistungen der Ausbildungsförderung erhält oder erhalten kann.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. September 2008 aufgehoben, soweit dieser im Wege der einstweiligen Anordnung über den 28. Februar 2009 hinaus verpflichtet worden ist. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der angefochtene Beschluss klarstellend wie folgt gefasst wird:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Eingliederungshilfe für den Besuch des Kaufmännischen Berufskollegs an der T.-L.-Schule (Nikolauspflege) in Höhe von kalendertäglich 94,82 Euro abzüglich jeweils 459,00 Euro monatlich in der Zeit vom 8. September 2008 bis 28. Februar 2009 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin vier Fünftel der außergerichtlichen Kosten im ersten und zweiten Rechtszug zu erstatten.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 ≪BGBl. I S. 444≫) eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, jedoch lediglich aus dem im Beschlusstenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).
Vorliegend kommt - wie das Sozialgericht Heilbronn (SG) im angefochtenen Beschluss zutreffend erkannt hat - nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt von den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) sowie der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann grundsätzlich nur summarisch erfolgen, es sei denn, das sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie der grundrechtlich geschützte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erforderten eine abschließende Überprüfung. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - ≪beide juris≫ unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ≪BVerfG≫; z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - ...