Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Ausschreibung. Rabattvertrag. Zulassung nur bestimmter Angebote. kein Verstoß gegen Wettbewerbsrecht. Unterscheidung zwischen wirkstoffgleichen Arzneimitteln. therapeutische Wirkung. Beurteilung des therapeutischen Nutzens unterschiedlicher Bioverfügbarkeiten von Festbetragsarzneimitteln. Beachtung der Entscheidungen des G-BA. Bemessung des Streitwertes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Entscheidung der Krankenkassen, nur solche Angebote auf Abschluss eines Rabattvertrages für Arzneimittel nach § 130a SGB 5 zuzulassen, die alle vom Bieter (oder der Bietergemeinschaft) in der sog Lauer-Taxe gelisteten Pharmazentralnummern (PZN) eines Wirkstoffs iS des § 4 Abs 19 Arzneimittelgesetz (AMG) erfassen, ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden.

2. Unterschiede zwischen wirkstoffgleichen Präparaten sind für die Ausschreibung nur erheblich, wenn und soweit sich die Arzneimittel (PZN) in ihrer therapeutischen Wirkung unterscheiden. Andere Kriterien wie zB der Markenname des Arzneimittels, dessen Preis, die Art der Wirkstofffreisetzung oder verschiedene arzneimittelrechtliche Zulassungen für mehrere Präparate mit demselben Wirkstoff sind für die Bestimmung des Beschaffungsbedarfs der Krankenkassen ohne Bedeutung.

3. Die Krankenkassen dürfen bei einer wirkstoffbezogenen Ausschreibung davon ausgehen, dass Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen auch den gleichen therapeutischen Nutzen haben und etwas anderes nur gilt, wenn die Arzneimittel trotz vorhandener Wirkstoffidentität unterschiedliche und für die Therapie bedeutsame Bioverfügbarkeiten aufweisen.

4. Bei der Beurteilung des therapeutischen Nutzens unterschiedlicher Bioverfügbarkeiten von Festbetragsarzneimitteln dürfen (und müssen) sich die Krankenkassen an die im Zusammenhang mit der Bildung von Festbetragsgruppen (§§ 35 Abs 1 S 2, 35a Abs 3 S 1 SGB 5) ergangenen Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses orientieren.

 

Orientierungssatz

Der Streitwert bei einem Rechtsstreit über das Ausschreibungsverfahren zum Abschluss von Rabattverträgen beträgt unter Berücksichtigung des § 50 Abs 2 GKG fünf Prozent der Bruttoauftragssumme.

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen wird der Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg beim Regierungspräsidium Karlsruhe vom 30. Dezember 2008, 1 VK 51/08, abgeändert und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin insgesamt zurückgewiesen.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg beim Regierungspräsidium Karlsruhe vom 30. Dezember 2008, 1 VK 51/08, wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerinnen im Verfahren vor der Vergabekammer und im Beschwerdeverfahren sowie der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Beigeladenen zu 1 im Verfahren vor der Vergabekammer.

Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerinnen sowohl im Verfahren vor der Vergabekammer als auch im Beschwerdeverfahren und durch die Beigeladene zu 1 im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

Der Streitwert wird auf 454.222,43 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin (im Folgenden als AS bezeichnet) ist ein in der Rechtsform der GmbH betriebenes pharmazeutisches Unternehmen. Die Antragsgegnerinnen (im Folgenden als AG bezeichnet) sind Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK). Die AOK B. führt europaweit ein offenes Ausschreibungsverfahren zum Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für den Zeitraum 2009/2010 mit Verlängerungsoption um drei Monate, längstens bis zum 31. März 2011, für insgesamt 64 Wirkstoffe durch, darunter auch den Wirkstoff Tamsulosin. Für jeden Wirkstoff wird ein eigenes Fachlos gebildet, für jedes Fachlos fünf Teillose (sog. Gebietslose). Die Ausschreibung wurde im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. Reihe S) 2008/S 154-207965 vom 9. August 2008, berichtigt durch 2008/S 175-232638 vom 10. September 2008, bekannt gemacht. Die Bekanntmachung erfolgte durch die AOK B. mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass sie sowohl im eigenen Namen handele wie auch namens der übrigen AG.

Gemäß Ziffer II.1.5) der Bekanntmachung sind pro angebotenem Wirkstoff und Gebietslos Rabattangebote für alle zu diesem Wirkstoff gehörenden Pharmazentralnummern (PZN), die der Bieter gem. Lauer-Taxe, (berichtigt) Stand 1. September 2008, im Sortiment hat, abzugeben Die Zuschlagserteilung erfolgt pro Wirkstoff und Gebietslos. Der Zuschlag erstreckt sich pro Wirkstoff und Gebietslos ebenfalls auf alle zu dem Wirkstoff gehörenden PZN, die der bezuschlagte Bieter gem. Lauer-Taxe, (berichtigt) Stand 1. September 2008, im Sortiment hat. Pro Wirkstoff und Gebietslos wird ein Rabattvertrag nur mit einem pharmazeutischen Unternehmer (Bieter oder Bietergemeinschaft) geschlossen.

Die Lauer-Taxe enthält den Datenbestand ...

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