Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Streit über Gewährung von Pflegegeld einer Verstorbenen. Tod des vorrangigen Sonderrechtsnachfolgers. nächstrangig Begünstigter. Zuwachstheorie ohne zeitliche Begrenzung
Leitsatz (amtlich)
Nach dem Tod des vorrangigen Sonderrechtsnachfolgers des Berechtigten wächst der fällige, noch nicht erfüllte Geldleistungsanspruch dem gemäß § 56 Abs 1 SGB I nächstrangig Begünstigten unabhängig von der Dauer der Zeitspanne zwischen dem Tod des Berechtigten und dem Tod des vorrangigen Sonderrechtsnachfolgers zu.
Tenor
Die Berufung des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 gegen das Urteil des Sozialgerichts R. vom 27. September 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe III für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Dezember 2016 sowie nach Pflegegrad 5 für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis 2. März 2018.
Die im Jahr 1939 geborene und am 2. März 2018 gestorbene B. Sch. (im Folgenden: Versicherte) war bei der Beklagten sozial pflegeversichert. Die Beklagte gewährte ihr ab 1. September 2014 Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe II. Grundlage dafür war das Gutachten der für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) tätigen Pflegefachkraft Br. vom 13. Februar 2015, die nach Befragung und Beobachtung der Versicherten in ihrem Wohnbereich am 6. Februar 2015 einen Hilfebedarf in der Grundpflege von täglich 157 Minuten (87 Minuten für Körperpflege, elf Minuten für Ernährung, 59 Minuten für Mobilität) und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von täglich 60 Minuten ermittelte. Als pflegebegründende Diagnosen wurden ein Selbstversorgungsdefizit bei fortschreitender demenzieller Entwicklung, Mobilitätseinschränkungen mit Gangunsicherheiten und Sturzgefahr sowie eine Blasenschwäche festgestellt.
Am 12. August 2015 teilte der Kläger zu 1 als bevollmächtigter Sohn der Versicherten der Beklagten mit, dass sich der gesundheitliche Zustand seiner Mutter immer weiter verschlechtere, und beantragte die Höherstufung in Pflegestufe III. In dem daraufhin übermittelten Antragsformular kreuzte er als Antragsgegenstand „Geldleistungen“ und „Leistungen wegen erheblich eingeschränkter Alltagsfähigkeiten (z.B. Demenz)“ an. Im Auftrag der Beklagten ermittelte die für den MDK tätige Pflegefachkraft K. auf Grundlage der Befragung und Beobachtung der Versicherten in ihrem Wohnbereich am 14. Oktober 2015 im Gutachten vom selben Tag einen zeitlichen Hilfebedarf von täglich 176 Minuten in der Grundpflege (93 Minuten für Körperpflege, 37 Minuten für Ernährung, 46 Minuten für Mobilität) sowie von täglich 60 Minuten für hauswirtschaftliche Verrichtungen. Pflegebegründende Diagnosen seien Mobilitätseinschränkungen bei beidseitiger Gon- und Coxarthrose, rezidivierender Schwindel mit Fallneigung sowie nachlassende kognitive Fähigkeiten mit halluzinatorischem Erleben und nächtlicher Unruhe.
Mit Bescheid vom 16. Oktober 2015 teilte die Beklagte der Versicherten mit, dass Leistungen nach Pflegestufe III einen durchschnittlichen täglichen Zeitaufwand von mindestens fünf Stunden voraussetzten, wobei mindestens vier Stunden auf die Grundpflege entfallen müssten. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, da der zeitliche Hilfebedarf für die Grundpflege ausweislich des MDK-Gutachtens unter vier Stunden täglich liege. Deshalb könnten keine höheren Pflegeleistungen gezahlt werden.
Hiergegen legte der Kläger zu 1 am 4. November 2015 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Hilfebedarf in der Grundpflege, insbesondere bei der Mobilität, und der ständige Hilfebedarf bei der Betreuung sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Versicherte benötige Hilfe rund um die Uhr. Die Beklagte beauftragte daraufhin den MDK, ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit zu erstatten. Die Pflegefachkraft S. ermittelte auf Grundlage der Befragung und Beobachtung der Versicherten in ihrem Wohnbereich am 9. Dezember 2015 im Gutachten vom selben Tag einen Hilfebedarf von täglich 187 Minuten in der Grundpflege (105 Minuten für Körperpflege, 35 Minuten für Ernährung, 47 Minuten für Mobilität) sowie von 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung. Pflegebegründende Diagnosen seien ein ausgeprägtes Selbstpflegedefizit bei fortgeschrittener Demenz mit nächtlicher Unruhe und Halluzinationen, eingeschränkte Mobilität aufgrund beidseitiger schmerzhafter Hüft- und Kniegelenksarthrose, Schmerzen im LWS-Bereich und im rechten Oberarm sowie eine Blasen- und Darmschwäche. Der Kläger zu 1 wandte hiergegen mit Schreiben vom 27. Dezember 2015 ein, es seien pflegeerschwerende Faktoren wie Körpergewicht und Demenz der Versicherten nicht berücksichtigt worden. Die Gutachter seien zu unterschiedlichen zeitlichen Hilfebedarfen gelangt. Alle Zeitbemessungsangaben seien zu niedrig angesetzt und nicht realitätsgerecht. Zu Unrecht seien das Dusche...