Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde bei Nichtentscheiden des Gerichts
Orientierungssatz
Eine Beschwerde wegen Untätigkeit eines Gerichts iS eines Nichtentscheidens ist unzulässig, weil für sie keine gesetzliche Rechtsgrundlage besteht.
Gründe
Die am 27. August 2009 von der Klägerin im Verfahren vor dem Sozialgericht Heilbronn (Az: S 4 R 237/08) erhobene Untätigkeitsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.
Gemäß § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet die Beschwerde an das Landessozialgericht gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Eine solche beschwerdefähige Entscheidung des Sozialgerichts Heilbronn liegt bisher nicht vor. Eine Untätigkeit des Sozialgerichts iS eines Nichtentscheidens kann nicht Gegenstand einer Beschwerde nach § 172 Abs 1 SGG sein. Für die von der Klägerin erhobene Untätigkeitsbeschwerde existiert keine gesetzliche Rechtsgrundlage. Sie kann auch nicht durch richterrechtliche Rechtsfortbildung entwickelt oder begründet werden, da es gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit verstößt, wenn von der Rechtsprechung außerordentliche Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffen werden, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen (vgl Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003, Az: 1 PBvU 1/02 = BVerfGE 107, 395; Bundessozialgericht, Beschluss vom 6. Februar 2008, Az: B 6 KA 61/07 B; Beschluss vom 28. Februar 2008, Az: B 7 AL 109/07 B; Beschluss vom 25. August 2009, Az: B 11 AL 7/09 C; Schleswig- Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27. April 2009, Az: L 11 B 45/09 AS; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 5. Februar 2009, Az: L 16 B 1068/08 AS).
Soweit die Klägerin zur Begründung ihrer Untätigkeitsbeschwerde auf den Beschluss des Oberlandesgerichtes (OLG) Düsseldorf vom 5. März 2009 (Az: I- 23 W 99/08, 23 W 99/08) verweist, in dem das dortige Gericht eine Untätigkeitsbeschwerde zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 13 EMRK für zulässig erachtet hat, ist dem aus den genannten Gründen nicht zu folgen. Das OLG (aaO) hat nicht dargelegt, weshalb durch richterliche Rechtsfortbildung ein Rechtsmittel “geschaffen„ werden kann (vgl BVerfG, aaO). Im Übrigen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 8. Juni 2006 (Az: 75529/01; veröffentlicht in NJW 2006, 2389) selbst entschieden, dass es für eine außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde in der Bundesrepublik Deutschland keine gesetzliche Grundlage gibt und ein ungeschriebener Rechtsbehelf verfassungsrechtlich zweifelhaft sei.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es dem Senat, auch in Ermangelung einer fallbezogenen Beschwerdebegründung, nicht ersichtlich ist, inwiefern es für die Klägerin, einem öffentlich-rechtlichen Kreditinstitut, durch die geltend gemachte überlange Verfahrensdauer zu unzumutbaren Verzögerungen gekommen sein soll (vgl Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 20. Mai 2009, Az: 15 WF 140/09).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Entscheidung über den Streitwert gründet auf § 52 Abs 1 des Gerichtskostengesetzes und berücksichtigt den Streitwert des Verfahrens vor dem Sozialgericht Heilbronn von 30.557,20 € analog zur Streitwertfestsetzung bei einer Untätigkeitsklage mit 20 vH (Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit - Stand 1. April 2009).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Fundstellen