Leitsatz (amtlich)

Eine Entschädigung für Zeitversäumnis ist nur dann zu gewähren, wenn durch die Teilnahme an dem Gerichtstermin ein Nachteil entstanden ist. Bei Beteiligten des Verfahrens können eventuelle Einschränkungen in der Freizeitgestaltung infolge der Wahrnehmung eines Gerichtstermins i.d.R. nicht als entschädigungspflichtiger Nachteil angesehen werden.

 

Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 29.06.2023 wird, soweit sie sich gegen die Höhe der festgesetzten Fahrtkosten richtet, als unzulässig verworfen; im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Höhe seiner Entschädigung anlässlich der Teilnahme an zwei Erörterungsterminen vor dem Sozialgericht Ulm (SG) am 22.02.2022 und 23.06.2022.

Der Beschwerdeführer, der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezieht, nahm beim SG in eigener Sache an zwei Erörterungsterminen teil, zu denen sein persönliches Erscheinen angeordnet war (am 22.02.2022 von 10:00 bis 11:43 Uhr und am 23.06.2022 von 10:13 bis 11:31 Uhr).

Für den Termin am 22.02.2022 beantragte er eine Entschädigung i.H.v. 113,40 € (Fahrtkosten für 126 km à 0,90 €). Er sei von seiner Wohnung losgefahren und nach dem Termin zu einer medizinischen Anwendung in die A1 Therme B1 gefahren.

Für diesen Termin setzte die Kostenbeamtin des SG mit Schreiben vom 28.03.2022 eine Entschädigung i.H.v. 38,50 € fest (110 km à 0,35 €).

Für den Termin am 23.06.2022 beantragte der Beschwerdeführer eine Entschädigung i.H.v. 132 € (110 km à 1,20 €).

Die Kostenbeamtin des SG setzte die Entschädigung i.H.v. 35 € fest unter Berücksichtigung einer Fahrstrecke von 100 km (Schreiben vom 30.06.2022).

Gegen beide Festsetzungen hat sich der Beschwerdeführer am 06.07.2022 mit seinem Antrag auf richterliche Festsetzung gewandt und geltend gemacht, er habe ein Nutzfahrzeug und keinen Pkw genutzt, weshalb ein höherer Kilometerbetrag anzusetzen sei. Außerdem müsse ihm nachgewiesen werden, welche Strecke er gefahren sei.

Mit Beschluss vom 29.06.2023 hat das SG die Entschädigung des Beschwerdeführers anlässlich der Wahrnehmung der Gerichtstermine am 22.02.2022 und 23.06.2022 auf jeweils 35 €, insgesamt 70 € festgesetzt. Dabei hat es allein Fahrtkosten nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG) berücksichtigt. Für die kürzeste Route vom Wohnort des Klägers zu dem von ihm nach eigenen Angaben angesteuerten kostenlosen Parkplatz in der F1 in U1 betrage die Entfernung gerundet 50 km, weshalb pauschal und unabhängig von der Art des verwendeten Fahrzeugs pro Kilometer 0,35 € zu entschädigen seien, somit 70 € (2 x 100 km à 0,35 €). Die Fahrt nach B1 im Anschluss an den Gerichtstermin am 22.02.2022 sei nicht zu erstatten, da es sich um eine private Angelegenheit handele. Die Voraussetzungen für einen Verdienstausfall nach §§ 19, 22 JVEG (mangels Verdienstausfalls), eine Aufwandsentschädigung nach §§ 19 Abs. 1, 6 Abs. 1 JVEG (Tagegeld - mangels Abwesenheit von mehr als acht Stunden) oder eine Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung nach §§ 19, 21 JVEG (wegen des Bezugs von Erwerbsersatzeinkommens) seien nicht erfüllt. Es sei auch keine Entschädigung für Zeitversäumnis nach §§ 19, 20 JVEG zu gewähren, denn ein Prozessbeteiligter, dessen Verfahrensstellung und eigenes Interesse am Verfahrensausgang sich deutlich von der Situation eines Zeugen unterscheide, erleide durch die Anordnung seines persönlichen Erscheinens zu einem Gerichtstermin oder einer Begutachtung grundsätzlich keinen Nachteil (mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zur Entschädigung für Zeitversäumnis hat das SG die Beschwerde zugelassen.

Mit seiner Beschwerde vom 03.08.2023 macht der Beschwerdeführer geltend, sein Fahrzeug sei kein Pkw, weshalb die Kostenannahme von 0,35 €/km falsch sei. Es solle ihm nachgewiesen werden, dass auch Lkw in diese Kategorie fielen. Bezüglich des Termins am 22.02.2022 könne er nichts dafür, dass er von der Richterin „genötigt“ worden sei, direkt vom Gericht zur zwingend erforderlichen medizinischen Anwendung zu fahren. Zudem sei nicht gerechtfertigt, geschätzte Kilometerangaben anstelle der von ihm angegebenen tatsächlichen Kilometer zu berücksichtigen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Akten S 17 AS 344/22 ER und S 17 AS 9/22 Bezug genommen.

II.

Über die nach § 4 Abs. 3 JVEG dem Grunde nach statthafte Beschwerde entscheidet der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kostensachen zuständige 10. Senat nach § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG durch seine ...

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