Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch auf Versorgung mit Cannabis. Erforderlichkeit einer ärztlichen Verordnung. Nichtausreichen eines Privatrezeptes. Begriff der schwerwiegenden Erkrankung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Abs 6 SGB V setzt eine vertragsärztliche Verordnung voraus. Ein Privatrezept genügt selbst dann nicht, wenn es die Anforderungen an ein Betäubungsmittelrezept erfüllt.

 

Orientierungssatz

Da die Versorgung mit Cannabis als Ersatz für eine nicht zur Verfügung stehende oder im Einzelfall nicht zumutbare allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung konzipiert ist, hält es der Senat für sachgerecht, den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung so wie in § 35c Abs 2 S 1 SGB V zu verstehen.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 08.08.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Übernahme der Kosten für eine Versorgung mit Cannabisblüten.

Der Antragsteller beantragte am 10.03.2017 fernmündlich die Übernahme der Kosten für Cannabis. Eine vertragsärztliche Verordnung über die beantragte Leistung liegt bislang nicht vor. Die Antragsgegnerin veranlasste ein sozialmedizinisches Gutachten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Gleichzeitig übersandte sie dem Antragsteller einen Fragebogen mit der Bitte, diesen von seinem behandelnden Arzt ausfüllen zu lassen. Sie benötige diesen Angaben, damit der MDK das erbetene Gutachten erstatten könne. In seinem Gutachten vom 24.03.2017 gelangte Dr. B. zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht vorlägen. Die beim Antragsteller vorliegende symptomatische Spondylolisthesis sei zwar eine schwerwiegende Erkrankung, doch könne diese mit regelmäßiger Physiotherapie und der Durchführung von Übungen in Eigenregie therapiert werden. Zudem bestehe noch die Möglichkeit einer operativen Fixierung der Wirbelkörper sowie eine Behandlung der Schmerzen durch adäquate Schmerztherapie. Bisher sei beim Antragsteller lediglich eine Schmerztherapie erfolgt, wobei hierbei nur niedrigpotente Opioide eingesetzt worden seien. Damit stünden allgemein anerkannte, dem medizinischen Stand entsprechende Leistungen als Alternative zur Verfügung. Dem Gutachten lagen eine Leistungsübersicht der Antragsgegnerin für den Antragsteller über den Zeitraum von 1997 bis 2017 sowie ein vom Hausarzt des Antragstellers Dr. S., Facharzt für Innere Medizin, ausgefüllter Arztfragebogen zugrunde. Auf die Frage, warum eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende alternative Behandlungsoption nicht zur Verfügung steht, hatte Dr. S. angegeben: „Keine ausreichende Schmerzkontrolle bei schwerer orthopädischer Erkrankung". Mit Bescheid vom 28.3.2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab.

Hiergegen legte der Antragsteller am 28.4.2017 Widerspruch ein, über den die Antragsgegnerin bislang nicht entschied.

Am 18.7.2017 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Ulm (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er seit Jahren unter einem chronischen Schmerzsyndrom bei Spondylolisthesis Meyerding II und Osteochondrose L4/5 und L5/S1 leide. Er sei aufgrund seiner Erkrankung erheblich in der Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Die Bewegungen seien zudem mit heftigen Schmerzen verbunden. Die derzeit eingenommenen Medikamente wirkten nur sehr schlecht und seien mit heftigen Nebenwirkungen verbunden. Weder mit der Schmerztherapie noch mit anderen Therapien sei bisher ein hinreichend zufriedenstellendes Ergebnis erzielt worden. Einzig die begehrten Cannabisblüten würden zu einer Linderung führen, zudem sei er hier nicht durch Nebenwirkungen belastet. Eine Physiotherapie sei aufgrund der Schmerzen nicht möglich, sie habe vielmehr zu einer Verschlimmerung der Schmerzen geführt, weswegen die Therapie abgebrochen worden sei. Eine Operation an der Wirbelsäule sei mit erheblichen Risiken verbunden und könne nicht garantieren, dass damit eine Schmerzfreiheit erreicht werde. Er habe einen Anspruch aus § 31 Abs 6 SGB V. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor. Es sei ihm nicht zumutbar die Kosten der Versorgung mit Cannabis selbst zu übernehmen, sein Einkommen reiche hierfür nicht aus. Er müsse dann schwerwiegende Folgen und Schmerzen erdulden.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und hat zur Begründung ausgeführt, der Antragsteller habe in den letzten Jahren keine physiotherapeutischen Maßnahmen in Anspruch genommen. Auch die medikamentöse Behandlung sei noch nicht ausgeschöpft, so dass eine weitere alternative Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung stehe. Darüber hinaus handele es sich aus ihrer Sicht auch nicht um eine schwerwiegende Krankheit. Auch sei es dem Antragsteller nicht unmöglich, den Ausgan...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge