Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Erstattungsbescheid. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. ernsthafte Zweifel. Interessenabwägung
Leitsatz (amtlich)
1. Für den einstweiligen Rechtsschutz nach § 149 Abs 2 SGB 3 gegen Erstattungsbescheide nach §§ 128, 128a AFG findet § 97 Abs 2 S 4 SGG keine entsprechende Anwendung.
2. Die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung vorausgesetzten ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung bestehen, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Mißerfolg.
3. Hat der Rechtsbehelf wie nach § 149 Abs 1 SGB 3 kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung, begründet dies die Vermutung für ein das Individualinteresse überwiegendes öffentliches Interesse.
Gründe
Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Beklagten, der das SG nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist auch statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG) und damit insgesamt zulässig; die Beschwerdeausschlußregelung in § 97 Abs. 2 Satz 4 SGG steht nicht entgegen. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache nur teilweise Erfolg.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin begehrten einstweiligen Rechtsschutz ist die Bestimmung des § 149 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III), welche mit Wirkung vom 01. Januar 1998 die im wesentlichen gleichlautende Regelung in § 128c des Arbeitsförderungsgesetzes -- AFG -- (Fassung durch Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1824)) abgelöst hat (vgl. zum intertemporalen Prozeßrecht Bundesverfassungsgericht (BVerfG) BVerfGE 87, 48, 62 ff.; Bundessozialgericht (BSG) SozR 3870 § 4 Nr. 2; BSGE 72, 148, 156 = SozR 3-2500 § 15 Nr. 1). Nach § 149 Abs. 1 SGB III haben Klage und Widerspruch gegen Entscheidungen auf Erstattung des Arbeitslosengeldes (Alg) durch Arbeitgeber keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht der Hauptsache kann jedoch auf Antrag gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Damit ist der einstweilige Rechtsschutz mit Blick auf die hier auf den Abrechnungsbescheid vom 15. Dezember 1997 noch anzuwendende Bestimmung des § 128a AFG (vgl. Art. 82 Abs. 1, Art. 83 Abs. 1 des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung -- AFRG -- vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594); ferner § 431 SGB III i.V.m. § 242x Abs. 6 AFG; für Erstattungsfälle ab 01. Januar 1998: § 148 SGB III) ausdrücklich geregelt, während die anwendbaren Rechtsgrundlagen für Streitigkeiten vor der mit Wirkung vom 01. Januar 1996 in Kraft getretenen Vorläuferregelung in § 128c AFG umstritten waren (vgl. zum seinerzeitigen Meinungsstand Senatsbeschluß vom 22. Juli 1996 -- L 13 Ar 2883/95 eA-B -- Breithaupt 1997, 376). Die Beschwerde der Beklagten gegen den auf der Grundlage des § 149 Abs. 4 Satz 1 SGB III ergangenen, dem Antrag der Klägerin stattgebenden Beschluß des SG vom 07. Mai 1998 ist nicht aufgrund der Vorschrift des § 97 Abs. 2 Satz 4 SGG ausgeschlossen, derzufolge nach Erhebung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 97 Abs. 2 SGG -- Herabsetzung oder Entziehung einer laufenden Leistung (Satz 1 a.a.O.) oder Einschränkung bzw. Nichtverlängerung der Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Satz 2 a.a.O.) -- die Vollstreckungsaussetzung nur mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden kann. Der Senat hält nach erneuter Überprüfung an seiner Auffassung im Beschluß vom 22. Juli 1996 a.a.O. fest. Im vorgenannten Beschluß hat der Senat bereits ausgeführt, daß es sich bei § 97 Abs. 2 Satz 4 SGG um eine eng auszulegende, nicht analogiefähige Sonderregelung handelt, die grundsätzlich allein für die in Abs. 2 der Vorschrift ausdrücklich normierten Fälle Anwendung finden kann. Demgegenüber enthält die Vorschrift des § 149 Abs. 2 SGB III nähere mit § 80 Abs. 5, Abs. 7 und Abs. 8 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) übereinstimmende Regelungen zum gerichtlichen Verfahren, bei denen eine § 97 Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechende Vorschrift fehlt (ähnlich Bayer. Landessozialgericht (LSG), Beschluß vom 12. Juni 1996 -- L 9 B 312/95. AL-VR -- (unveröffentlicht); vgl. auch Gagel, AFG, § 128c Rdnr. 19; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluß vom 26. Juni 1996 -- L 12 SAr 60/95 -- (unveröffentlicht); Brand in Niesel, SGB III, § 149 Rdnr. 5; Jahraus in Wissing/Pitschas/Eicher, SGB III, § 149 Rdnr. 8). Weder der Wortlaut noch der Gesetzeszweck oder die Entstehungsgeschichte deuten darauf hin, daß die nach § 172 Abs. 1 SGG für sozialgerichtliche Beschlüsse grundsätzlich umfassend vorgesehene Beschwerdemöglichkeit hier eingeschränkt sein sollte. Im Gegenteil spricht die Gesetzesbegründung zu § 128c AFG (vgl. Bundestags-Drucksache 13/2590 S. 34) ausdrücklich davon, daß das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor den Sozialgerichten gegen Erstattungsbescheide entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO geregelt und damit eine an den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens orientierte Gewährung einstweiligen ...