Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Drittanfechtung der Genehmigung einer Dialysezweigpraxis. vorläufige Genehmigung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. fehlende Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren. Zulässigkeit von Drittwidersprüchen. Interessenabwägung. Vorrang des Fortbetriebs einer langjährig bestehenden Zweigpraxis. Anordnung der sofortigen Vollziehung. Schutz von Patienteninteressen. Unternehmerische Investitionsentscheidung. Gewinnerwartung. Vorrang der Patienteninteressen vor den wirtschaftlichen Interessen der konkurrierenden Betreiber
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rechtstreit um die Genehmigung zur Fortführung des Betriebs einer Dialysezweigpraxis ist bei der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen sind - im Rahmen der Interessenabwägung den Patienteninteressen der Vorrang einzuräumen vor den wirtschaftlichen Interessen der konkurrierenden Betreiber von Dialysezweigstellen.
2. Solange nicht feststeht, dass die Dialysezweigpraxis geschlossen werden muss, ist es Dialysepatienten regelmäßig nicht zuzumuten, den behandelnden Arzt und den Behandlungsort zu wechseln.
Orientierungssatz
1. Sind die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens gegen die vorläufige Genehmigung der Fortführung einer Zweigpraxis durch ein Medizinisches Versorgungszentrum gering, ist die Anordnung des Sofortvollzugs der vorläufigen Genehmigung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu beanstanden.
2. Drittwidersprüche gegen die Genehmigung einer Dialysezweigpraxis oder gegen eine entsprechende Verlängerungsgenehmigung sind zulässig.
3. Es ist nicht zu beanstanden, wenn im Rahmen einer Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzugs auch auf das Interesse einer Antragstellerin am Fortbetrieb ihrer langjährig bestehenden Zweigpraxis abgestellt und demgegenüber das Interesse eines Dritten am Ausbau seiner Zweigpraxis als nachrangig angesehen wird.
Normenkette
BMV-Ä Anl. 9.1 Anh. 9.1.5 Abs. 3 S. 4; GG Art. 12; SGG § 86a Abs. 2 Nr. 5, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.10.2013 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 15.000 € festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die sofortige Vollziehung einer der Antragstellerin in einem vorangegangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Stuttgart (S 5 KA 1775/13 ER) erteilten vorläufigen Genehmigung zur Fortführung ihrer bestehenden Dialyse-Zweigpraxis in S. G. Die Beschwerde der Beigeladenen richtet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser vorläufigen Genehmigung durch Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.10.2013 (S 5 KA 5155/13 ER).
Die Antragstellerin, ein Medizinisches Versorgungszentrum, nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung mit Sitz in H. teil und betreibt eine Dialysepraxis. Der am MVZ beteiligte Dr. R. hatte bereits zum 01.04.1999 eine widerrufliche Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Dialyseleistungen am Standort H. sowie als zentralisierte Heimdialyse (LC) in E. und M. erhalten. Mit Bescheid vom 01.10.2003 hatte die Antragsgegnerin der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin, der Berufsausübungsgemeinschaft Dres. R., B., S. eine bis 08.05.2013 befristete Genehmigung zur Durchführung von Versorgungsaufträgen mit Dialyse an den Betriebsstätten E. und M. erteilt. Die Genehmigung war befristet für zehn Jahre ab Inkrafttreten der mantelvertraglichen Vereinbarung des Abs. lb Anhang 9.1.5 Bundesmantelvertrag - Ärzte (BMV-Ä/EKV-Ä), da die projektierte Zweigpraxis nach der genannten Regelung in der Versorgungsregion der bestehenden Dialysepraxis liegen müsse, was im Falle der Antragstellerin nicht der Fall sei. Mit weiterem Bescheid vom 01.04.2004 genehmigte die Antragsgegnerin der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin die Verlegung der bereits befristet genehmigten Zweigpraxis von M. nach S. G. zur Durchführung von Versorgungsaufträgen mit Dialyse bis zum 08.05.2013; die projektierte Zweigpraxis liege nicht in der Versorgungsregion der Dialysepraxis (Entfernung von H. nach S. G. 29,3 km), weshalb die Genehmigung befristet erteilt werde.
Die Beigeladene nimmt ebenfalls an der vertragsärztlichen Versorgung teil und betreibt eine Dialysepraxis mit Sitz in A. Nachdem ihr Antrag auf Genehmigung einer Dialysezweigpraxis in S. G. vom Oktober 2005 von der Antragsgegnerin abschlägig beschieden worden war, wurde die Antragsgegnerin im darauf folgenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Stuttgart (S 11 KA 8567/06, Urteil vom 02.04.2008) verurteilt, der Beigeladenen die Genehmigung für eine Zweigpraxis am Standort M. einschließlich der Durchführung von Versorgungsaufträgen mit Dialyse zu erteilen. Die hiergegen erhobene Berufung der Antragstellerin wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 09.12.2009 (L 5 KA 2164/08) zurück, da die zugeordnete Versorgungsregion der urspr...