Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Kostenübernahme. Staatskasse. Einholung eines Gutachtens gem § 109 SGG. Ermessensentscheidung des Gerichts. Sachdienlichkeit. Kriterium. Streitgegenstand. Prozesserfolg
Leitsatz (amtlich)
Die vollständige Übernahme der Kosten eines gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse kann bei Vorliegen eines einheitlichen Streitgegenstandes nicht mit der Begründung abgelehnt werden, das Gutachten habe zu keinem vollständigen Klageerfolg geführt.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Juni 2008 aufgehoben.
Die durch die Einholung des Gutachtens von Dr. M. vom 11. Januar 2006 entstandenen Kosten sowie die Auslagen der Klägerin werden in vollem Umfang auf die Staatskasse übernommen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Gestritten wird um die Frage, ob das Sozialgericht Stuttgart (SG) zu Recht nur die Hälfte der Kosten und Auslagen eines auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse übernommen hat.
Im Hauptsacheverfahren war die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 streitig. Das Versorgungsamt S. (VA) hatte mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 bei der Klägerin wegen Hirndurchblutungsstörungen sowie psychovegetativer Störungen einen GdB von 20 festgestellt. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2003 zurückgewiesen. Mit der hiergegen beim SG erhobenen Klage (S 22 SB 3078/03) begehrte die Klägerin, die bei ihr vorliegenden Behinderungen mit einem GdB von wenigstens 50 zu bewerten. Im Rahmen der Sachaufklärung erhob das SG u. a. Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Dr. Sch. mit Zusatzgutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. N. und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch.. Zusammenfassend bestätigte Dr. Sch. den vom Beklagten festgestellten GdB von 20. Auf Antrag der Klägerin wurde gem. § 109 SGG Dr. M. mit der Erstellung eines internistisch-rheumatologischen Fachgutachtens beauftragt. Dr. M. beschrieb eine chronische Schmerzerkrankung, die einer klassischen, somatisch betonten, schweren bis mittelschweren Form einer Fibromyalgie entspreche. Für die chronische Schmerzerkrankung sei ein Einzel-GdB von 50 angemessen, unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Bluthochdrucks mit einem Einzel-GdB von 10 sei der Gesamt-GdB auch mit 50 einzuschätzen. Nachdem der Beklagte hiergegen Einwendungen erhoben hatte, forderte das SG Dr. M. mit Schreiben vom 4. Mai 2006 zu einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme auf, welche dieser unter dem 23. Mai 2006 erstattete. Mit Urteil vom 13. September 2006 änderte das SG die angefochtenen Bescheide ab und verurteilte den Beklagten, den GdB mit 40 festzustellen. Es schloss sich der Einschätzung von Dr. M. insoweit an, dass als führendes Erkrankungsbild eine somatoforme Schmerzstörung zu berücksichtigen sei. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) sei der GdB jedoch mit 40 zu bewerten. Der von Dr. M. vorgeschlagene GdB von 50 sei überhöht, da eine Gleichstellung mit einer schweren psychischen Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten trotz der bei der Klägerin bestehenden Einschränkungen nicht gerechtfertigt sei. Gegen das Urteil erhob die Klägerin beim Landessozialgericht Berufung (L 3 SB 5340/06). Im Berufungsverfahren wurde das nervenärztliche Gutachten von Prof. Dr. T. eingeholt, der die Einschätzung des SG bestätigte. Die Berufung wurde mit Urteil vom 16. Juli 2008 zurückgewiesen.
Das SG übernahm mit Beschluss vom 28. Juli 2008 die Hälfte der Kosten für das Gutachten von Dr. M. vom 11. Januar 2006 sowie für dessen ergänzende Stellungnahme vom 23. Mai 2006 auf die Staatskasse. Es hielt eine Kostenteilung für gerechtfertigt, weil das Gutachten die Aufklärung des Sachverhalts nur teilweise objektiv gefördert habe und nur für den teilweisen Klageerfolg mitentscheidend gewesen sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 22. August 2008 beim SG Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, auch wenn das SG nur von einer Teilförderung ausgehe, hätte es die vollständige Übernahme der Kosten auf die Staatskasse beschließen müssen. Das Gesetz kenne keine Teilübernahme.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die volle Erstattung der ihr durch die Erstellung des Gutachtens von Dr. M. vom 11. Januar 2006 entstandenen Kosten und Auslagen durch die Staatskasse.
Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG kann die von einem Versicherten beantragte gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgülti...