Entscheidungsstichwort (Thema)
Kürzung der Asylbewerberleistung. fehlende Freiwilligkeitserklärung. Verhinderung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Pflicht zur Beschaffung eines Identitätspapiers auch nach Abschluss des Asylverfahrens. Rechtsmissbräuchlichkeit. Antragsgegner. Analogleistungen. Aufenthaltsbeendigung. Vorwerfbarkeit. Rechtsmissbrauch. Passersatzpapiere. Freiwilligkeitserklärung. Iran. Unabweisbar gebotene Leistungen
Leitsatz (amtlich)
Einem ausreisepflichtigen Ausländer ist es zumutbar, die von seinem Heimatstaat (hier: Iran) für die Ausstellung von Reisepapieren geforderte Erklärung gegenüber der Heimatvertretung, freiwillig ausreisen zu wollen ("Freiwilligkeitserklärung"), abzugeben. Gibt er diese Erklärung nicht ab, ist es von ihm iS des § 1a Nr 2 AsylbLG zu vertreten, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen wegen des Fehlens von Reisepapieren nicht vollzogen werden können. Eine Kürzung von Leistungen der §§ 3ff AsylbLG auf das unabweisbar Gebotene ist in diesem Fall nicht zu beanstanden.
Orientierungssatz
1. Voraussetzung der Verhinderung der Aufenthaltsbeendigung iS des § 1a Nr 2 AsylbLG ist ein im freien Willen des Leistungsberechtigten stehendes, auf die Verhinderung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme abzielendes Tun oder Unterlassen, das zu einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG führt.
2. Die vom BSG formulierten Anforderungen an ein rechtsmissbräuchliches Verhalten beziehen sich allein auf die Regelung des § 2 AsylbLG über den Anspruch auf sog. Analogleistungen. Diese weicht in Wortlaut, Voraussetzungen und Rechtsfolgen erheblich von der Vorschrift des § 1a AsylbLG ab.(vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R)
3. Ein Ausländer hat es selbst in der Hand, die "Kürzung" der Leistungen nach § 1a AsylbLG zu beenden, indem er der geforderten Mitwirkungshandlung nachkommt.
4. Die Pflicht zur Beschaffung eines Identitätspapiers endet nicht mit dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens; vielmehr dient sie auch dem Zweck, die Rückführung des Ausländers in seinen Heimatstaat zu ermöglichen bzw zu erleichtern (vgl VGH Mannheim vom 6.10.1998 - A 9 S 856/98 = VBlBW 1999, 229).
Normenkette
AsylbLG § 1 Abs. 1 Nrn. 4-5, § 1a Nr. 2, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 S. 4; AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 6; AufenthG § 48 Abs. 3, § 49 Abs. 2, §§ 58, 60; FlüAG § 2 Abs. 1, 2 Nr. 3, Abs. 4; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 30. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgemäß erhobene Beschwerde ist zulässig; insbesondere ist sie statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 S. 2 SGG, da das Begehren keinen abgegrenzten Zeitraum betrifft. Sie ist jedoch nicht begründet.
Richtiger Antragsgegner ist das Land Baden-Württemberg (§ 2 Abs. 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz ≪FlüAG≫ i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4 FlüAG sowie § 13 Abs. 1 Nr. 1 Landesverwaltungsgesetz Baden-Württemberg; vgl. Bundessozialgericht ≪BSG≫ Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R - ≪juris≫). Dass im Rubrum des angefochtenen Beschlusses der Landkreis als Antragsgegner geführt wird, steht dem nicht entgegen. Denn die Auslegung ergibt, dass sich der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zuständigen Träger richtet, mithin das Land Baden-Württemberg, das diese Aufgaben durch die Landratsämter als untere Aufnahmebehörden wahrnimmt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Zu Recht hat das Sozialgericht (SG) die einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG als richtige Rechtsschutzform angesehen. Die bisher ergangenen Bewilligungsbescheide regelten keine Leistungsgewährung auf unbestimmte Zeit, sondern nur für den jeweiligen ausdrücklich genannten Monat. Soweit ein schriftlicher Bescheid nicht erging, fiel die Bewilligung mit der Auszahlung der Leistung zusammen. Der “Kürzungsbescheid„ vom 3. Juni 2008 stellt somit keine Aufhebung oder Rücknahme einer Bewilligungsentscheidung dar. Dem Begehren des Antragstellers wird daher durch eine reine Anfechtung dieses Bescheides nicht vollständig Rechnung getragen. Vielmehr macht der Antragsteller des Weiteren einen Leistungsantrag geltend, nämlich auf (höhere) Leistungen nach § 2 AsylbLG (sog. Analogleistungen), hilfsweise auf ungekürzte Grundleistungen nach § 3 ff. AsylbLG. Auf die z...