Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland. Leistungsausschluss. Ausnahme. Vorliegen einer außergewöhnlichen Notlage. Nachweis eines Rückkehrhindernisses. Europarechtskonformität

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine außergewöhnliche Notlage, welche die Gewährung von Sozialhilfe an im Ausland lebende Deutsche rechtfertigen kann, setzt voraus, dass ohne die Hilfeleistung eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung existentieller Rechtsgüter, mithin Leben, Gesundheit oder sonstiger elementarer Grundvoraussetzungen der menschlichen Existenz, unmittelbar droht.

2. Es verstößt nicht gegen supranationales Recht, Sozialhilfe nur in engen Ausnahmefällen an in Unionsstaaten lebende Deutsche zu gewähren.

 

Orientierungssatz

Dass der Betroffene sich in Deutschland "nicht mehr sicher" bzw "politisch verfolgt" fühlt, stellt kein Rückkehrhindernis iS des § 24 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 12 dar.

 

Normenkette

SGB XII § 24 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 97 Abs. 1, 2 S. 1, § 3 Abs. 3; BSHG § 119 Abs. 1; AGSG Art. 81 Abs. 1, 3; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1-2; KkonsG § 5 Abs. 4; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 3 Abs. 5 Buchst. a

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Gegenstand des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist das Begehren des (zwischenzeitlichen) Klägers, der seit Juni 2015 in der Französischen Republik lebt, auf die vorläufige Gewährung von Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit ab dem 22. Juni 2015.

Der 1967 in P. geborene deutsche Kläger, der von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht (Zahlbetrag 1.014,66 Euro), beantragte am 13. Oktober 2015 zunächst beim Antragsgegner zu 2) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Der Antragsgegner zu 2) leitete den Antrag mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 zuständigkeitshalber an den Beklagten als überörtlicher Träger der Sozialhilfe weiter.

Bereits am 16. Oktober 2015 hatte der Kläger den nämlichen Leistungsantrag an den Antragsgegner zu 1) gerichtet, der ihn ebenfalls zuständigkeitshalber an den Beklagten weiterleitete (Schreiben vom 19. Oktober 2015).

Der Beklagte lehnte den klägerischen Antrag mit Bescheid vom 20. Oktober 2015 ab, der dagegen erhobene Widerspruch (Schreiben des Klägers vom 25. Oktober 2015) hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 4. Februar 2016). Über die dagegen beim Sozialgericht Landshut (S 5 SO 10/16) erhobene Klage ist noch nicht entschieden.

II.

Die nach den §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Senat lässt dahinstehen, ob das Sozialgericht Freiburg (SG) als örtlich zuständiges Gericht dazu berufen war, über den gegen den Antragsgegner zu 2) und den Beklagten gerichteten Eilantrag zu entscheiden oder ob nicht insoweit eine entsprechende Trennung und Verweisung an das Sozialgericht Landshut als örtlich zuständiges Gericht (vgl. § 7 Abs. 1 SGG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes in Bayern ≪AGSGG≫) nach den Vorschriften des § 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) - die auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren anwendbar sind (vgl. nur Bundessozialgericht ≪BSG≫, Beschluss vom 16. Oktober 2008 - B 12 SF 10/08 S - ≪juris Rdnr. 2≫; Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫, Beschluss vom 15. November 2000 - 3 B 10/00 - ≪juris Rdnr. 4≫; Bayerisches Landessozialgericht ≪LSG≫, Beschluss vom 19. Februar 2009 - L 8 SO 17/09 ER - ≪juris Rdnr. 1≫; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 28. März 2002 - L 1 B 22/02 KR ER - ≪juris Rdnr. 35≫; Verwaltungsgerichtshof ≪VGH≫ Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. Juli 1992 - 11 S 3050/91 - ≪juris Rdnr. 3≫; Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. 2014, § 98 Rdnr. 2, alle m.w.N.) - angezeigt gewesen wäre.

Gemäß § 57 Abs. 3 SGG ist bei einem Kläger, der - wie vorliegend - seinen Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Ausland hat, örtlich zuständig das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz hat. Bezogen auf den Antragsgegner zu 2) und den Beklagten wäre dies das Sozialgericht Landshut. Im Fall der vorliegend gegebenen subjektiven Antragshäufung gibt es - außerhalb des Bestimmungsverfahrens nach § 58 Abs. 1 Nr. 5 SGG - keinen einheitlichen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (vgl. § 74 SGG i.V.m. §§ 59 ff. der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫; dazu etwa BSG, Beschluss vom 12. September 2002 - B 7 SF 52/02 S - ≪juris Rdnr. 2≫; Beschluss vom 24. August 1994 - 4 BS 4/93 - ≪juris Rdnrn. 28 f., 31≫; Beschluss vom 11. Juli 1978 - 1 S 3/78 - ≪juris Rdnr. 7≫; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. September 2010 - L 18 SF 213/10 - ≪juris Rdnr. 2≫), insbesondere auch nicht unter Sachzusammenhangs-...

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