Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Missbrauchskosten. Vorliegen von ärztlichen Auskünften, die zur Stützung des Anspruch geeignet sind. keine missbräuchliche Rechtsverfolgung. Sichtweise eines einsichtigen Dritten
Leitsatz (amtlich)
Die Fortführung eines Rechtsstreits ist jedenfalls dann nicht missbräuchlich, wenn ärztliche Auskünfte vorliegen, die nicht von vornherein zur Anspruchsstützung ungeeignet sind. Denn auch ein einsichtiger Dritter müsste bei einer solchen Sachlage nicht jede Hoffnung auf einen günstigen Ausgang des Rechtsstreits aufgeben, weil jede andere Würdigung der erheblichen Tatsachen schlechterdings unvertretbar wäre.
Tenor
Die Verhängung von Missbrauchskosten im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts H. vom 29. Juli 2017 wird aufgehoben.
Gründe
I.
In dem durch Klagerücknahme beendeten Rechtsstreit begehrte der Klägerin die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft.
Mit Bescheid vom 9. März 2015 stellte das Landratsamt H. den GdB mit 40 seit 18. Februar 2015 fest, wobei es sich auf die Bewertung des versorgungsärztlichen Dienstes stützte, der einen Teil-GdB von 30 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen und ein Schulter-Arm-Syndrom sowie einen Teil-GdB von 30 für eine seelische Störung zugrunde legte. Die Funktionsbehinderung beider Kniegelenke sowie der Bluthochdruck bedingten danach jeweils keinen Teil-GdB von mindestens 10. Das dagegen geführte Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums S. vom 6. November 2015).
Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 16. November 2015 beim SG H. (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt und geltend gemacht, dass insbesondere die orthopädischen/chirurgischen Befunde eine Anhebung des GdB auf 50 erforderten und auch die psychische Erkrankung im oberen Bereich ausgefüllt sei. Hinsichtlich des Morbus Bechterew sei die Befundung im Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen und insoweit bestünde weiterer Aufklärungsbedarf von Amts wegen. Es werde beantragt, die behandelnde Hausärztin sowie den psychologischen Psychotherapeuten Dipl.-Psych. S., bei dem die Klägerin einmal in der Woche in Behandlung sei, als sachverständige Zeugen zu hören.
Das SG hat sachverständige Zeugenaussagen bei den behandelnden Ärzten Dr. H. (Allgemeinärztin), dem Chirurg Dr. S., der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie K. und Dr. B. (Oberarzt in der Abteilung Orthopädie und Unfallchirurgie der V. Klinik in B.) eingeholt. Zudem hat Dipl.-Psych. S. einen Bericht übersandt, ohne dass das SG ihn dazu beauftragt hatte. Während die behandelnden Ärzte von orthopädischer Seite der Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes zugestimmt haben, hat Dr. H. mitgeteilt, dass sie mit der Bewertung nicht übereinstimme und ihres Erachtens die Behinderungen nicht gänzlich erfasst seien. Sie gehe von einem chronischen Schmerzsyndrom aus, das zusätzlich mit einem Teil-GdB von 10 zu berücksichtigen sei und insgesamt einen GdB von 50 als angemessen erscheinen lasse. Die Nervenärztin K. hat aufgrund einer punktuellen Vorstellung 2015 nur berichten können, dass sich die während der früheren Behandlung im Jahr 2011 erhobenen psychischen Befunde nicht gebessert hätten. Dipl.-Psych. S. hat von einer aktuellen depressiven Krise aufgrund der zurückliegenden Trennung und der weiter schwelenden Trennungskonflikte mit dem zweiten Ehemann berichtet. Außer zu den Kindern und Enkelkindern bestünden keine tragfähigen sozialen Kontakte. Es werde eine antidepressive Medikation (Citalopram, aktuell Umstellung auf Mirtazapin) durchgeführt sowie eine parallele psychiatrische Mitbehandlung. Nachdem die Klägerin als aktuelle Psychiaterin Dr. G. mitgeteilt hatte, hat das SG auch von dieser eine sachverständige Zeugenaussage eingeholt, in der sie von einer derzeit mittelgradig ausgeprägten depressiven Symptomatik berichtet hat, im Übrigen aber keine gutachterliche Äußerung abgeben wollte, um die Behandlung nicht zu stören.
Das SG hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Klage zurückgenommen werden sollte. Angesichts der Diagnose, des Schweregrades und der Dosierung der Medikamente, sei der Teil-GdB von 30 durchaus ausreichend. Ergänzend hat das SG auf § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen. Nachdem die Klägerin weitere Sachverhaltsermittlung von Amts wegen sowohl auf psychiatrischem als auch auf orthopädischem Gebiet angeregt hatte, hat das SG mitgeteilt, dass die behandelnden Orthopäden den orthopädischen Teil-GdB bestätigt hätten und das Gericht nicht ins Blaue ermitteln würde. Im daraufhin nach § 109 SGG eingeholten orthopädischen Gutachten von Dr. R. hat dieser ebenfalls einen Teil-GdB von 30 auf orthopädischem Gebiet als angemessen eingeschätzt. Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2016 ist die Klägerin zum einen dem Gutachten entgegengetreten und hat zum anderen nunmehr eine Hauterkrankung der Hände angeführt, wegen der sie beim Hautarzt ...