Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten sowie die Feststellung der Bedürftigkeit des Antragstellers
Leitsatz (amtlich)
Bei der Entscheidung über ein PKH-Bewilligungsgesuch ist für die Beurteilung der Erfolgsaussicht auf den Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Bewilligungsgesuchs abzustellen, dagegen ist für die Feststellung der Bedürftigkeit des Antragstellers der Zeitpunkt der Entscheidung über das PKH-Gesuch maßgebend.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. Dezember 2009 aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart ab 11. Februar 2005 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und Rechtsanwalt S., K., zu den Bedingungen eines Rechtsanwaltes beigeordnet, der seine Kanzlei am Wohnsitz der Klägerin oder am Sitz des Sozialgerichts Stuttgart hat.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin ist nicht gemäß § 172 Abs 3 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 29 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl I 2008, 444) ausgeschlossen und daher statthaft. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe (PKH) verneint, sondern die Bewilligung von PKH wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt. Die am 22. Dezember 2009 beim SG eingegangene Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegt worden.
Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen, unter denen PKH für das beim SG anhängig gewesene Klageverfahren bewilligt werden kann, sind erfüllt.
Gemäß § 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind keine überspannten Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Senats unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫, Beschluss vom 13. März 1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 357). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Rechtsschutzverfahrens als offen zu bezeichnen ist. Davon ist auszugehen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt (vgl BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Februar 2004, 1 BvR 596/03, NJW 2004, 1789, 1790; Bundesgerichtshof ≪BGH≫, Beschluss vom 10. Dezember 1997, IV ZR 238/97, NJW 1998, 1154; Bundesfinanzhof ≪BFH≫, Beschluss vom 27. November 1998, VI B 120/98, juris) oder eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch Beweisaufnahme, ernsthaft in Betracht kommt (vgl BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 20. Februar 2002, 1 BvR 1450/00, NJW-RR 2002, 1069, und vom 14. April 2003, 1 BvR 1998/02, NJW 2003, 2976, 2977). Darüber hinaus soll die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren zu verlagern. Dieses Verfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. März 2000, 1 BvR 2224/98, NJW 2000, 2098). In sozialgerichtlichen Verfahren, in denen (auch) medizinische Feststellungen zu treffen sind, kann eine hinreichende Erfolgsaussicht in der Regel nur bejaht werden, wenn das Gericht die Klage nach summarischer Prüfung für begründet hält, ohne dass noch weitere Ermittlungen durchzuführen sind, oder wenn zur Prüfung der Begründetheit der Klage die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Denn bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist in eng begrenztem Umfang auch eine vorweggenommene Beweiswürdigung (Beweisantizipation) zulässig. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dann zu verneinen, wenn konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Klägerin ausgehen würde (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Mai 1997, 1 BvR 296/94, NJW 1997, 2745, 2746 mwN). Deswegen genügt es für eine hinreichende Erfolgsaussicht häufig noch nicht, wenn das Gericht im Rahmen seiner Prüfung, ob überhaupt Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben werden muss, zunächst schriftliche sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte einholt. Auch die Regelung in § 118 Abs 2 ZPO zeigt, dass nicht jede Ermittlungstätigkeit des Gerichts die für die PKH-Bewilligung erforderliche Erfolgsaussicht begründet (vgl Landessozialgericht ≪LSG≫ Baden-Wü...