Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Aufhebung eines Beiladungsbeschlusses des Sozialgerichts. ex-nunc-Wirkung der Aufhebung. sachliche Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers bei Entscheidung über Beitragspflicht, Beitragstragung, Beitragshöhe sowie Beitragseinzug im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner. keine notwendige Beiladung der Pflegekasse und Krankenkasse
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Beiladungsbeschluss des Erstgerichts kann, wenn die Voraussetzungen der Beiladung nicht vorliegen, vom Berufungsgericht von Amts wegen aufgehoben werden; die Aufhebung wirkt ex nunc.
2. Entscheidet der sachlich zuständige Rentenversicherungsträger über die Beitragspflicht, Beitragstragung und Beitragshöhe im Rahmen der KVdR und verfügt einen entsprechenden Beitragseinbehalt aus der laufenden Rente nach § 255 Abs 1 und Abs 2 S 1 SGB V iVm § 60 Abs 1 S 2 SGB XI , kommt regelmäßig eine (notwendige) Beiladung der Pflegekasse nicht in Betracht (Anschluss an BSG vom 29.11.2006 - B 12 RJ 4/05 R = BSGE 97, 292 = SozR 4-3300 § 59 Nr 1, RdNr 12 mwN).
3. Nichts anderes gilt seit dem 1.1.2009 hinsichtlich der Krankenkassen, denn insoweit sind auch diese - wie die Pflegekassen - in Ansehung der Zuweisungen nach § 255 Abs 3 S 4 iVm § 271 Abs 1 S 1 Nr 2 und §§ 266 , 268 SGB V regelmäßig am konkreten Beitragseinzug nicht (mehr) beteiligt; der einzelnen Krankenkasse stehen die Krankenversicherungsbeiträge aus Rentenleistungen nicht individuell zu.
Tenor
Der Beiladungsbeschluss des Sozialgerichts Ulm vom 26.08.2021 wird für das Berufungsverfahren aufgehoben.
Gründe
I.
Die Beklagte hat die Altersrente des Klägers mit Bescheid vom 14.07.2020 neu berechnet und u.a. für die Zeit vom 01.04.2002 bis 31.07.2020 eine zu erstattende Rentenüberzahlung i.H.v. insgesamt 34.208,27 € festgestellt; sie ist dabei davon ausgegangen (vgl. Widerspruchsbescheid vom 17.03.2021), dass der Kläger für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.07.2020 rückständige Beiträge bzw. Beitragsanteile zur gesetzlichen Krankenversicherung (7.451,11 €) und zur sozialen Pflegeversicherung (2.542,32 €) schuldet und dass ihm im Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.07.2020 zu Unrecht ein Zuschuss für Aufwendungen für die Krankenversicherung (23.925,79 €) sowie im Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.03.2004 für die Pflegeversicherung (289,05 €) gezahlt worden ist. Mit Bescheid vom 01.12.2020 hat die Beklagte (unter „Ersetzung“ eines vorangegangenen weiteren Bescheids) zum einen den Bescheid ihrer Rechtsvorgängerin vom 05.03.1999 über die Bewilligung eines Zuschusses zur Krankenversicherung ab dem 01.04.2002 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben und zum anderen die Erstattung eines Überzahlungsbetrags i.H.v. insgesamt 24.214,84 € für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis (vgl. erneut Widerspruchsbescheid vom 17.03.2021) 31.07.2020 nach § 50 Abs. 1 SGB X angeordnet. Ferner hat sie - gestützt auf § 255 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) - verlautbart, dass für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.07.2020 von der Rente des Klägers Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bzw. -beitragsanteile abzuführen seien bzw. dass die rückständigen Beiträge (insgesamt 9.993,43 €) in monatlichen Beträgen zu je 836,18 € aus der laufenden Rente einbehalten würden.
Das Sozialgericht Ulm (SG) - das die Bescheide der Beklagten vom 01.12.2020 und 14.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2021 mit Urteil vom 25.10.2023 aufgehoben hat und wogegen sich die Berufung der Beklagten richtet - hat die BKK V1 in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Krankenkasse des Klägers zum Verfahren beigeladen (Beschluss vom 26.08.2021), wobei es offengelassen hat, ob nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder nach § 75 Abs. 2 (Alt. 1) SGG.
II.
Der Beiladungsbeschluss des SG ist von Amts wegen nach Anhörung der Beteiligten aufzuheben, weil kein Fall der notwendigen Beiladung i.S.d. § 75 Abs. 2 SGG vorliegt; für eine sog. einfache Beiladung sieht der Senat keinen Anlass.
Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren berechtigte Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen (einfache Beiladung). Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie beizuladen, § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG (notwendige Beiladung). Liegen die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung nicht vor bzw. besteht - wie vorliegend - auch kein Anlass für eine einfache Beiladung, ist eine gleichwohl erfolgte Beiladung nach allgemeiner Auffassung auch noch im Rechtsmittelzug von Amts wegen aufzuheben (Bundessozialgericht [BSG] 28.10.1994,9 RV 17/94, in juris, Rn. 2; 11.12.1990,1 RR 2/88, in juris, Rn. 3; 07.09.1989,8 RKn 5/88, in juris, Rn. 3 ff.; 23.01.1980,12 RK 53/79, in juris, Rn. 2 ff.; Senatsbeschluss vom 11.10.2018, L 10 BA 2747/18, in juris, Rn. 3 ff.; Hessisches Landessozialgericht [LSG] 24.08.2015, L 1 KR 171/15 B, in juris, Rn. 18; Schmidt...