Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Widerlegung der Mindestmengenprognose eines Krankenhausträgers. notwendige Streitgenossenschaft der Krankenkassenverbände. Darlegung berechtigter mengenmäßiger Erwartungen. regelmäßige Erforderlichkeit von Zahlen. Informationsaustausch zwischen Kooperationshäusern
Leitsatz (amtlich)
1. Aus der notwendigen Streitgenossenschaft der Krankenkassenverbände in Streitigkeiten über die Mindestmengenprognose folgt bezüglich der Wahrung von Rechtmittelfristen, dass säumige Streitgenossen durch die nicht säumigen vertreten werden.
2. Die Darlegung "berechtigter mengenmäßiger Erwartungen" im Rahmen der Mindestmengenprognose erfordert in der Regel eine mit Zahlen untermauerte Argumentation. Wird eine Kooperation geltend gemacht, kann erwartet werden, dass im Rahmen dieser die Kooperationshäuser die notwendigen Informationen austauschen, um eine begründete Prognose anhand von Zahlen darlegen zu können.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 16.04.2024 aufgehoben und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Bescheide der Antragsgegnerinnen vom 04.10.2023 abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird endgültig festgesetzt auf 48.750,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit der Widerlegung einer Mindestmengenprognose hinsichtlich komplexer Eingriffe am Organsystem Ösophagus für das Jahr 2024 darüber, ob die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin anzuordnen ist.
Die Antragstellerin ist Rechtsträgerin des zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zugelassenen Krankenhauses „Klinik E1“ in G1.
Mit Schreiben vom 20.07.2023 übermittelte die Antragstellerin ihre Prognose hinsichtlich komplexer Eingriffe am Organsystem Ösophagus für das Jahr 2024 an die Antragsgegnerinnen. Darin teilte sie mit, im Rahmen der Pandemie-Wellen hätten sich folgende Beobachtungen machen lassen: Patienten seien erst spät mit Leitsymptomen (Dysphagie, Gewichtsabnahme, Heiserkeit etc.) in die Klinik gekommen, Patienten wiesen zum Zeitpunkt der Erstvorstellung bereits ein fortgeschrittenes Tumorstadium auf, welches einer kurativen Therapie nicht mehr zugänglich sei und vereinbarte Kontrolltermine sowie OP-Termine seien aufgrund von Angst vor Ansteckung von Patienten nicht wahrgenommen beziehungsweise auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden. Bei insgesamt überschaubarer Patientenanzahl hinsichtlich Ösophaguseingriffen führten die oben genannten Effekte zu Schwierigkeiten beim Erreichen der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestmenge. Prospektiv gingen sie allerdings davon aus, dass durch Umverteilung der Patienten innerhalb der Region das Erreichen der Mindestmenge in Zukunft möglich sei.
Mit Anhörungsschreiben vom 23.08.2023, in dessen Briefkopf alle Antragsgegnerinnen aufgeführt waren, wurde gegenüber der Antragstellerin ausgeführt, die Vorgaben der Mindestmengenregelung für komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus seien nicht erfüllt. Diese sähen mindestens 26 Behandlungen pro Jahr vor. Demgegenüber habe die Antragstellerin im Jahr 2022 14 Eingriffe und in den beiden letzten Quartalen des Jahres 2022 und den ersten beiden Quartalen des Jahres 2023 lediglich 15 Eingriffe durchgeführt. Die eher allgemeinen Ausführungen zu den Folgen der COVID-19-Pandemie überzeugten nicht. Diese seien durch Zahlen zu belegen. Soweit auf eine Umverteilung der Patienten innerhalb der Region verwiesen werde, seien die hierzu geführten Strukturgespräche oder weitere Planungen zur Verfügung zu stellen. Die Landesverbände der Krankenkassen und der Verband der Ersatzkassen beabsichtigten auf Basis der bisher vorliegenden Informationen, die Leistung im Jahr 2024 nicht mehr zu vergüten. Die Antragstellerin erhalte Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 13.09.2023.
Die Antragstellerin teilte den Antragsgegnerinnen mit Schreiben vom 11.09.2023 mit, eine quantitative Darstellung von Patienten, die sich zu spät für eine kurative Therapie vorgestellt hätten, lasse sich im Nachgang für sie nicht mehr herleiten. Ebenso seien in der Vergangenheit abgesagte oder verschobene OP-Termine nicht auswertbar dokumentiert. Eine Umsteuerung von Patienten innerhalb der Region könne wie folgt dargestellt werden: Im Rahmen einer gemeinsamen Kooperation mit dem Bundeswehrkrankenhaus U1 würden zukünftig alle Patienten mit Ösophaguskarzinomen an ihre Klinik verwiesen. Somit werde eine Neuverteilung der Patienten in der Region perspektivisch stattfinden. Es werde im Rahmen dieser Kooperation gelingen, die geforderte Mindestmenge für komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus im Jahr 2024 zu erreichen. Dem Schreiben war als Anlage ein Schreiben von S1, Klinischer Direktor des Bundeswehrkrankenhauses, vom 05.09.2023 beigefügt. Darin heißt es: „Da ich in meiner Klinik zukünftig, aufgrund der Mindestmengenregelung, resezierende Eingri...