Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Beitragsbescheides. Verzinsungsauflage. Rechtsschutzbedürfnis. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Unbillige Härte. Rückstellungen. Analogie. Regelungslücke
Leitsatz (amtlich)
1. Gibt die Behörde (Versicherungsträger) einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Beitragsbescheides nach § 86a Abs 3 SGG mit der Auflage zur Verzinsung der Beitragsforderung statt, fällt dadurch das Rechtschutzinteresse für eine Entscheidung des Gerichts nach § 86b Abs 1 Nr 2 SGG nicht weg.
2. Gibt das Gericht dem Aussetzungsantrag nach § 86b SGG (uneingeschränkt) statt, wird dadurch die auf der Grundlage von § 86a Abs 3 SGG ergangene Entscheidung der Behörde gegenstandslos.
Normenkette
SGG § 86a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2; SGB IV §§ 27, 76
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 21.05.2015 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 04.12.2014 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.11.2014 ohne Auflage der Verzinsung angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert für beide Instanzen wird auf 1.817,69 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 04.12.2014 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.11.2014, mit welchem diese Gesamtsozialversicherungsbeiträge iHv insgesamt 7.270,75 € für den Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2010 festgesetzt hat, ohne die Auflage der Verzinsung der Beitragsforderung.
Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform der GmbH eine Personalserviceagentur. Grundlage der Arbeitsverträge zwischen der Antragstellerin und den bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmern waren in der Vergangenheit die Tarifverträge der Tarifgemeinschaft C. G. für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) und den Firmen der N.-Unternehmensgruppe, zu denen die Antragstellerin gehört.
Mit Beschluss vom 19.10.2012 stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Tarifunfähigkeit der CGZP fest. Daraufhin forderte die Antragsgegnerin mit mehreren Bescheiden von der Antragstellerin für den Zeitraum bis 31.12.2009 erhebliche Beiträge zur Sozialversicherung nach. Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen gegen Beitragsbescheide waren erfolgreich (Beschlüsse des Sozialgerichts Konstanz ≪SG≫ vom 09.07.2013, S 4 R 1453/13 ER und 28.05.2014, S 5 R 544/14 ER).
In der Zeit vom 09.04. bis 23.09.2014 führte die Antragsgegnerin ein Betriebsprüfungsverfahren für den Zeitraum 01.01. bis 30.06.2010 bei der Antragstellerin durch. Mit Bescheid vom 17.11.2014 forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 7.270,75 € für den Prüfzeitraum nach. Gegen den Bescheid legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 04.12.2014 Widerspruch ein.
Zugleich hat die Antragstellerin am 04.12.2014 beim SG im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Mit Schreiben vom 18.12.2014 hat sich die Antragsgegnerin bereit erklärt, dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides bis zum Abschluss des Vorverfahrens, im Falle der Klageerhebung bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens mit der Auflage der Verzinsung der Beitragsforderung iHv 4% - falls der Widerspruch nicht erfolgreich sei - zu entsprechen. Die Antragstellerin hat darauf mitgeteilt, dass sich das Eilverfahren nicht erledigt habe, da die Aussetzung der Vollziehung lediglich unter der Auflage der Verzinsung erfolgt sei. Es handele sich um ein Minus zu einer Aussetzung ohne Auflage.
Das SG hat mit Beschluss vom 21.05.2015 den Antrag abgelehnt. Ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Entscheidung sei entfallen, da die Antragsgegnerin die Vollziehung des Verwaltungsakts gemäß § 86a Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgesetzt habe. Eine gerichtliche Entscheidung könne die rechtliche oder wirtschaftliche Situation der Antragstellerin nicht weiter verbessern. Aus der Verzinsungsauflage folge ebenfalls keine ein Rechtsschutzbedürfnis rechtfertigende Beschwer, denn es handele sich um ein rein vorbeugendes Rechtsschutzbegehren. Derzeit sei weder absehbar, ob die Zurückweisung des Widerspruchs erfolge, noch ob überhaupt eine Verzinsung der Beitragsforderung erfolge. Die Antragsgegnerin könne eine Entscheidung nach § 86a Abs 3 SGG jederzeit aufheben oder ändern. Da Anträge nach §§ 86a Abs 3, 86b Abs 1 SGG nicht fristgebunden seien, könne die Antragstellerin bei einer konkreten Verzinsungsentscheidung noch immer Rechtsschutz über § 86b Abs 1 SGG erreichen. Die Verzinsungsauflage werde nicht “bestandskräftig„ im Sinne der Schaffung eines Rechtsgrundes für die Verzinsung (unter Hinweis auf Landessozialgericht ≪LSG≫ Hessen 12.06.2014, L 1 KR 150/14 B ER, juris).
Gegen den ihren Bevollmächtigten am 28.05.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 26.06.201...