Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Betriebsprüfungsbescheides. Verzinsungsauflage. Rechtsschutzbedürfnis
Orientierungssatz
1. Einem Rechtsbehelf gegen einen Bescheid, mit dem die Behörde Zinsen für einen Zeitraum fordert, in dem sie die Vollziehung eines Betriebsprüfungsbescheides auf Antrag ausgesetzt hatte, kommt nicht kraft Gesetzes gem § 86a Abs 1 S 1 SGG aufschiebende Wirkung zu.
2. Für das sozialrechtliche Beitragsrecht mangelt es - im Gegensatz zu § 237 AO 1977, der die Verzinsung bei Aussetzung der Vollziehung im Steuerrecht explizit regelt - an einer Rechtsgrundlage, die Aussetzung der Vollziehung der Beitragsforderung mit der Auflage der Verzinsung zu koppeln.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.4.2021 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der beim Sozialgericht Düsseldorf unter dem Aktenzeichen S 1 BA 231/18 anhängigen Klage gegen den Bescheid vom 25.5.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2018 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.061,64 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 12.4.2021 ist begründet. Auf ihren Antrag vom 17.9.2018 ist die aufschiebende Wirkung der am selben Tag beim SG erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 25.5.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2018 anzuordnen.
Der Eilantrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen.
1. Soweit die Antragstellerin (zuvor) im Verfahren S 39 R 955/16 ER beantragt hatte, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 25.5.2016 anzuordnen, ist dieser Antrag, der nach Erteilung des Widerspruchsbescheides und Klageerhebung als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hätte fortgeführt werden können (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 11.2.2021 - L 8 BA 163/20 B ER - juris Rn. 1), von ihr mit Datum vom 17.9.2018 zurückgenommen worden. Mit der Beendigung des Verfahrens endete dessen Rechtshängigkeit (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG. 13. Aufl. 2020, § 94 Rn. 4). Entsprechend steht dem hier streitigen Antrag nicht das Verbot der doppelten Rechtshängigkeit gemäß § 202 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) entgegen (vgl. BSG Urt. v. 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - juris Rn. 14).
2. Der Antragstellerin fehlt für den Eilantrag auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die von ihr erhobene Klage gegen die streitigen Bescheide, mit denen die Antragsgegnerin Zinsen in Höhe von 12.246,57 Euro für einen Zeitraum fordert, in dem sie die Vollziehung eines Betriebsprüfungsbescheides auf Antrag ausgesetzt hatte, hat nicht (bereits) kraft Gesetzes gem. § 86a Abs. 1 S. 1 SGG aufschiebende Wirkung.
Nach der Ausnahmevorschrift des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG kommt einem Rechtsbehelf, der sich gegen die Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie die Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten richtet, keine aufschiebende Wirkung zu. Dies erfasst auch die hier erhobenen Aussetzungs- bzw. Stundungszinsen. Dabei kann dahinstehen, ob die geltend gemachten Zinsen (unmittelbar) als öffentliche Abgaben (so VGH München Beschl. v. 2.4.1985 - 23 CS 85 A.361; VGH Baden-Württemberg Beschl. v. 1.6.1992 - 2 S 2999/90 - juris Rn. 2) oder als Nebenkosten im Sinne der Vorschrift zu qualifizieren sind. Zumindest teilen sie als streng akzessorische Nebenleistung das Schicksal der Beitragsforderung, für deren Aufschub sie von der Antragsgegnerin erhoben worden sind (vgl. Gersdorf in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 52; Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 138). Dies entspricht auch Sinn und Zweck des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG. Hiernach sollen Bescheide über Abgaben bzw. Kosten von der aufschiebenden Wirkung ausgenommen werden, die zur Deckung des Finanzbedarfs öffentlicher Aufgabenerfüllung im Bereich der Sozialversicherung erforderlich sind. Die Vorschrift dient damit der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der sozialrechtlichen Leistungsträger. Durch sie soll verhindert werden, dass die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen Beitrags- bzw. Abgabenbescheide zu einer Gefährdung der Finanzierung und Durchführung notwendiger öffentlicher Aufgaben führt (vgl. z.B. BVerwG Urt. v. 17.12.1992 - 4 C 30/90 juris Rn. 16; Richter in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG § 86a SGG Rn. 33 m.w.N.; Wahrendorf in: BeckOGK § 86a SGG Rn. 42; Binder in: Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, 6. Aufl. 2021, § 86a Rn. 14). Dieser Sicherstell...