Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtschutz gegen Verwaltungsakte zur Versicherungs- und Beitragspflicht - Umlage nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz

 

Orientierungssatz

1. Die Ausnahmevorschrift des Entfallens der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG gilt nicht, wenn der Versicherungsträger eine Versicherungs- bzw. Beitragspflicht verneint. Erfasst werden nur solche Verwaltungsakte, mit denen die Versicherungs- bzw. Beitragspflicht positiv festgestellt wird.

2. Unterlagen werden nach § 7 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern erhoben.

3. Umlagen dienen der Finanzierung der Erstattungsansprüche für Entgeltfortzahlungen, die Arbeitgeber i. S. von § 1 Abs. 1 AAG an Arbeitnehmer nach § 3 Abs. 1 und 2 und § 9 EntgFG erbringen müssen. Arbeitsrechtlich liegt ein Arbeitsverhältnis eines Geschäftsführers einer GmbH nur dann ausnahmsweise vor, wenn die Gesellschaft dem Geschäftsführer auch arbeitsbegleitende und verfahrensorientierte Weisungen erteilen und auf diese Weise die Modalitäten der Leistungserbringung bestimmen kann (BAG Urteil vom 26. 5. 199, S AZR 664/98).

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 22.10.2021 geändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 25.6.2021 angeordnet, soweit die Antragsgegnerin für Herrn N S die Umlage U1 für den gesamten streitigen Zeitraum vom 12.8.2016 bis 31.12.2020 in Höhe von 3.160,52 Euro und die Umlage U2 für den Zeitraum vom 12.8.2016 bis 31.12.2017 in Höhe von 251,76 Euro nachfordert.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 28.834,09 Euro festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aachen vom 22.10.2021 ist teilweise unzulässig und im Übrigen (nur) im tenorierten Umfang begründet.

1.) Die Beschwerde ist unzulässig, soweit die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 25.6.2021 im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin getroffene Feststellung, eine Versicherungs- und Beitragspflicht des mitarbeitenden Gesellschafters O J (im Folgenden: J) habe im streitigen Zeitraum vom 12.8.2016 bis 31.12.2020 nicht bestanden, begehrt.

Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache (nur) in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Haben die genannten Rechtsbehelfe hingegen aufschiebende Wirkung, gibt es kein Rechtsschutzbedürfnis, diese aufschiebende Wirkung (zusätzlich) gerichtlich anordnen zu lassen (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 28.10.2015 - L 8 R 442/15 B ER - juris Rn. 32).

Gem. § 86a Abs. 1 S. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage (grundsätzlich) aufschiebende Wirkung. Das gilt nach § 86a Abs. 1 S. 2 SGG ausdrücklich auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten und demnach auch bei Bescheiden, die - wie hier betreffend J - gezahlte Beiträge beanstanden. Weder ist vorgetragen noch ersichtlich, dass die Antragsgegnerin bzw. die Einzugsstelle beabsichtigt, den Bescheid insoweit gleichwohl unmittelbar zu vollziehen und die Beiträge, die als fälschlich gezahlt angesehen werden, zeitnah an die Antragstellerin zurückzuerstatten.

Einer der in § 86a Abs. 2 SGG geregelten Ausnahmefälle zur aufschiebenden Wirkung liegt nicht vor. Insbesondere gelangt auch die Vorschrift des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG, nach dem die aufschiebende Wirkung bei einer "Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben" entfällt, nur dann zur Anwendung, wenn der Versicherungsträger (anders als hier) eine Versicherungs- bzw. Beitragspflicht feststellt, nicht aber, wenn er diese - wie vorliegend hinsichtlich J - verneint (vgl. Senatsbeschl. v. 28.10.2015 - L 8 R 442/15 B ER - juris Rn. 34). Zwar schließt der Wortlaut der Vorschrift eine entsprechend weite Auslegung nicht aus. Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Norm gebieten es jedoch, im Wege einer teleologischen Reduktion nur solche Verwaltungsakte zu erfassen, mit denen die Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (positiv) festgestellt werden. Den Gesetzesmaterialien zufolge soll nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG die aufschiebende Wirkung in den Fällen entfallen, "in denen die Funktionsfähigkeit der Leistungsträger, insbesondere der Sozialversicherung, zu sichern ist." Damit verbleibe es "bei dem geltenden Recht, wenn die Entscheidung über Pflichten zur Zahlung oder die Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben im Streit" sei (BT-Drucks. 14/5943, S. 25). Hieraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber den in § 86a Abs. 1 SGG normierten Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Bescheide über Vers...

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