Entscheidungsstichwort (Thema)
(Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Leistungsausschluss für Ausländer nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12. EuFürsAbk. Inländergleichbehandlung. erlaubter Aufenthalt. Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
Leitsatz (amtlich)
Das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA; juris: EuFürsAbk) gilt für Staatsangehörige von Signatarstaaten bereits dann, wenn sie zwar noch keine gültige Aufenthaltserlaubnis haben, jedoch die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen und die Erteilung einer solchen Erlaubnis lediglich in Folge einer Nachlässigkeit des Beteiligten unterblieben ist.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Juni 2017 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Juli 2017 bis 31. Dezember 2017, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, in Höhe von monatlich 785,39 € zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab dem 1. Juli 2017.
Der Antragsteller ist niederländischer Staatsbürger. Er wurde 1946 in D. in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Nach seinen Angaben hat er bis zu seinem 50. Lebensjahr durchgehend in der Bundesrepublik Deutschland gelebt und gearbeitet. 1967 heiratete er eine deutsche Staatsangehörige, mit der er zwei gemeinsame 1965 und 1968 geborene Töchter hat. Nach den Angaben des Antragstellers sind beide Töchter in Deutschland aufgewachsen; derzeit wohne eine in F. und eine im Elsass/Frankreich. 1996 wanderte der Antragsteller und seine Ehefrau nach Spanien aus, wo er als Tauchlehrer tätig war. Am 30. August 2002 verstarb die Ehefrau des Antragstellers.
Nach den Angaben des Antragstellers kehrte er am 17. März 2011 aus familiären und altersbedingten Gründen nach Deutschland zurück. Er hat vorgetragen, im Frühjahr 2011 einige Wochen für die Firma F. Personalservice GmbH in R. gearbeitet zu haben. Hierzu hat er die erste Seite des Arbeitsvertrages vorgelegt, wonach das Vertragsverhältnis am 22. März 2011 begonnen hat. Als Wohnsitz des Antragstellers ist angegeben “1 Rue du C.; ... F./Frankreich„. Vom 4. Mai 2011 bis 5. August 2011 war der Antragsteller in B.-B., L. ..., gemeldet. Vom 6. bis 30. November 2012 bezog der Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß SGB XII durch den Caritasverband R. in Delegation für das Kreissozialamt R. durch Barauszahlung von Tagessätzen ≪ vgl. Bl. 71 Verwaltungsakten - VwA -≫.
Am 26. November 2012 stellte der Antragsteller beim Antragsgegner den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII. Hierbei gab er an, von 67160 S./Frankreich zugezogen zu sein.
Bei seiner Vorsprache beim Antragsgegner am 28. November 2012 gab der Antragsteller an ≪Bl. 51 VwA), er sei am 18. März 2011 nach 67160 S./Frankreich in eine eigene Wohnung gezogen und habe in Frankreich einige Monate als Bauhelfer gearbeitet. Nach Verlust der Arbeitsstelle habe er die Miete nicht mehr bezahlen können und sei ab 20. September 2012 obdachlos gewesen. Nach Verlust der Wohnung habe er sich teilweise bei seiner Tochter in F./Frankreich aufgehalten. Im Rentenantrag vom 25. Oktober 2012 ≪Bl. 15 VwA≫ hat der Antragsteller als Anschrift “C/o C. G., 1 Rue du C., F./Frankreich„ angegeben. Ausweislich der Anmeldung/Anmeldebestätigung vom 29. November 2012 zog der Antragsteller am 29. November 2012 nach ... B., U. ... Der Zuzug erfolgte aus ... S., 1 M. d. R., Frankreich.
Der Antragsteller bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See seit dem 1. Oktober 2012 ≪Bl. 119 VwA≫ eine Altersrente (Zahlbetrag im Januar 2017: 267,66 €) und von der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz zumindest seit März 2011 ≪Bl. 75 VwA≫ eine Witwerrente (Zahlbetrag im Januar 2017: 162,88 €). Für seine private Krankenversicherung im Basistarif hat er monatlich 341,47 € und für die private Pflegeversicherung monatlich 55,46 € zu entrichten ≪Bl. 680 und 707 VwA≫.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 3. Dezember 2012 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2012. In der Folgezeit bezog der Antragsteller Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bis zum 31. Mai 2017 in Höhe von zuletzt monatlich 785,39 € (Änderungs-/Weiterbewilligungsbescheid vom 10. April 2017 ≪ Bl. 719 VwA ≫).
Am 25. April 2017 beantragte der Antragsteller die Weitergewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Die Ausländerbehörde B. teilte dem Antragsgegner unter dem 19. Mai 2017 mit, der Antragsteller könne ein...