Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Anordnungsanspruch. Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums. Vorwegnahme der Hauptsache. Anordnungsgrund. Berücksichtigung der tatsächlich zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Freibeträge. Zumutbarkeit eines Abwartens des Hauptsacheverfahrens. Gebot des effektiven Rechtsschutzes
Leitsatz (amtlich)
1. Die Gerichte müssen in den Fällen, in denen es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums geht, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen (vgl BVerfG vom 20.5.2020 - 1 BvR 2289/19 = juris RdNr 9).
2. Andererseits ist es nach Sinn und Zweck des Eilverfahrens regelmäßig nicht Aufgabe der Gerichte, schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine umfassende rechtliche Prüfung der Hauptsache vorzunehmen, da damit die Effektivität dieses Verfahrens geschwächt würde (vgl BVerfG vom 20.5.2020 - 1 BvR 2289/19 = juris RdNr 9).
3. Einer abschließenden Prüfung der Hauptsache bedarf es nicht, wenn es nach umfassender Würdigung des gesamten Sachverhalts an einem Anordnungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung fehlt, weil im konkreten Einzelfall das Existenzminimum aller Betroffenen durch tatsächlich verfügbare bereite Mittel gedeckt ist.
4. Bei der Prüfung des Anordnungsgrundes und damit der besonderen Eilbedürftigkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren können auch solche Mittel Berücksichtigung finden, deren Inanspruchnahme im Rahmen der materiellen Prüfung des Anspruchs nicht eingefordert werden kann, die den Betroffenen aber tatsächlich zur Beseitigung der Notlage zur Verfügung stehen; hier ist vielmehr entscheidend, dass auch der vom Freibetrag geschützte Betrag den Betroffenen tatsächlich zur Verfügung steht und ihnen daher ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens zumutbar ist (vgl BVerfG vom 20.5.2020 - 1 BvR 2289/19 = juris RdNr 7).
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.07.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Rahmen eines Eilverfahrens streitig.
Die Antragsteller zu 1 und 2 sind Gesellschafter der O1 in P1 und handeln mit Teppichen. Sie bewohnen zusammen mit ihrer 2003 geborenen Tochter, der Antragstellerin zu 3, und ihrem 2001 geborenen Sohn, dem Antragsteller zu 4, eine Wohnung in P1.
Die Antragsteller beantragten beim Antragsgegner mit dem unter dem 26.04.2023 unterschriebenen Antragsformular die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab dem 01.04.2023. Nachdem die Antragsteller auf die Mitwirkungsaufforderung des Antragsgegners vom 15.05.2023 nicht innerhalb der zum 29.05.2023 gesetzten Frist reagiert hatten, versagte der Antragsgegner mit Bescheid vom 31.05.2023 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Die Antragsteller haben am 05.06.2023 beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe um Eilrechtsschutz nachgesucht und die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für April bis September 2023 geltend gemacht sowie am 09.06.2023 gegen den Versagungsbescheid vom 31.05.2023 Widerspruch eingelegt.
Sie haben ferner mit ihren E-Mails vom 03.06.2023, 04.06.2023, 05.06.2023 und 13.06.2023 mehrere Konten betreffende Kontoauszüge der S1kasse C1 für Januar bis Mai 2023, von Paypal für Januar bis April 2023 sowie der V2 P2 für Januar bis April 2023, Finanzübersichten der C2 zum 24.05.2022 sowie der V2 P2 zum 03.06.2023, Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen „Paypal“ für April bis Mai 2023 sowie „Bank“ für April bis Mai 2023, eine unter der Erheblichkeitsgrenze liegendes Vermögen bestätigende Erklärung, eine Mietbescheinigung, die Gewährung von Kindergeld für die Antragsteller zu 3 und 4 bewilligende Bescheide der Kindergeldkasse, eine Erklärung über eine von April bis Juli 2023 befristete Beschäftigung der Antragstellerin zu 3, eine zwischen dem Antragsteller zu 4 und dem A1 Baden-Württemberg e. V. für September 2022 bis August 2023 geschlossene F1-Beschäftigungsvereinbarung samt diesbezüglicher Bestätigungsbescheinigung, eine Verdienstabrechnung für den Antragsteller zu 4 für Februar 2023, eine Verdienstabrechnung für die Antragstellerin zu 3 für April 2023, einen Einkommenssteuerbescheid für die Antragsteller zu 1 und 2 für das Jahr 2020 und eine Anlage EKS für Mai bis September 2023 vorgelegt.
Daraufhin hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 16.06.2023 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt. Auf Grund der nachgewiesenen Einkommensverhältnisse sei ein den Bedarf übersteigendes Einkommen festgestellt worden. Hilfebedürftigkeit liege ...