Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Lipodystrophie. keine Kostenübernahme für Fettabsaugung
Orientierungssatz
1. Das Beschwerdebild einer Lipodystrophie mit Störung der Fettverteilung bei extremer Fettgewebeansammlung am Becken sowie an beiden Oberschenkeln stellt eine Krankheit gem § 27 Abs 1 SGB 5 dar.
2. Eine stationär oder ambulant durchzuführende Liposuktion entspricht - schon ganz grundlegend - nicht den erforderlichen Qualitätsanforderungen, die an eine zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführende Behandlungsmethode zu stellen sind.
3. Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch weder unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels noch auf der Grundlage des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 und der diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine von der Klägerin geplante Liposuktion (Fettabsaugung) und anschließende Oberschenkelreduktionsplastik zur Behandlung einer Fettverteilungsstörung beider Oberschenkel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die 1956 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Am 19. Juni 2009 beantragte sie unter Vorlage eines Arztbriefs des Oberarztes der Abteilung Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Freiburg Dr. F. (Bericht vom 14. April 2009) nebst Vorlage einer Fotodokumentation die Kostenübernahme für eine Liposuktion mit späterer Oberschenkelreduktionsplastik. In seinem Arztbericht vom 14. April 2009 legte er dar, bei der Klägerin habe sich bei einem Gewicht von 91 kg und einer Körpergröße von 1,57 m bei schlankem Gesicht und Oberkörper eine extreme Fettgewebsvermehrung im Bereich der Trochanteren und Fettgewebswucherungen an beiden Oberschenkeln gebildet. Aufgrund des extrem ausgeprägten Habitus mit diätresistenten Fettdepots, die erheblichen krankhaften Lipomen ähnelten, sei die begehrte Therapie medizinisch notwendig.
Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme bei Dr. S. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein. Dieser führte am 25. Juni 2009 aus, eine medizinische Indikation für die beantragte Fettabsaugung sei nicht gegeben, da eine Funktionsstörung durch die Fettfehlverteilung nicht gegeben sei. Mit Bescheid vom 26. Juni 2009 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme unter Hinweis auf die Stellungnahme des MDK ab.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 6. Juli 2009 unter Berufung auf den Arztbericht des Dr. F. Widerspruch ein.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. H. vom MDK am 21. Juli 2009 ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten. Danach leide die Klägerin an einer Adipositas Grad II (BMI 37) mit Lipomatose im Oberschenkelbereich. Eine medizinische Indikation zur beantragten Fettabsaugung sei nicht gegeben. Die Liposuktion sei ein in der kosmetisch/ästhetischen Chirurgie etabliertes Behandlungsverfahren, das hauptsächlich bei Fettverteilungsstörungen im kosmetischen Bereich angewandt werde. Risiken der Therapie seien anaphylaktische Reaktionen auf das Lokalanästhetikum, kardiale Komplikationen durch eine toxische Wirkung des Lokalanästhetikums, das Auftreten von Schwellungen, Blutergüssen, Infektionen und bleibenden Hautveränderungen. Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über den therapeutischen Nutzen der Methode liege nicht vor. Bei Beachtung der Richtlinien der vertragsärztlichen Versorgung und der aktuellen Rechtsprechung könne eine Kostenübernahme für die beantragte Methode aus sozialmedizinischer Sicht nicht empfohlen werden.
Trotz Kenntnis des Gutachtens hielt die Klägerin ihren Widerspruch aufrecht. Zwar habe sie ihr Gewicht mittels mehrmonatiger sportlicher Betätigung in einem Sportstudio, der Anschaffung eines Fahrrades und Ernährungsumstellung bei fortlaufender Diät um über zehn kg reduzieren können; allerdings sei an den Oberschenkeln keine Veränderung eingetreten. Dies beeinträchtige zunehmend ihre Psyche. Auch müsse sie wegen vorhandener Schmerzen an den Oberschenkeln täglich Schmerzmittel einnehmen. Mittlerweile habe sie soziale Rückzugstendenzen entwickelt, da sie sich ihres Aussehens schäme.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2009 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch der Klägerin unter Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ((BSG), Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R - in juris) und die beiden Stellungnahmen des MDK zurück. Auch sei die begehrte Behandlungsmethode bisher durch den GBA nicht bewertet und somit auch nicht als Vertragsleistung zugelassen.
Mit ihrer am 23. Oktober 2009 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren unter Wiederholun...