Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsbegründende Kausalität. Gelegenheitsursache. Konkurrenzursache. rechtsvernichtende Tatsache. Rotatorenmanschettenruptur. die Alltagsbelastung nicht übersteigende unfallbedingte Einwirkung. Beweislast

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist das Unfallereignis conditio sine qua non der Rotatorenmanschettenruptur gewesen und lässt der medizinische Befund einer vom Unfallversicherungsträger zu beweisenden Vorschädigung objektiv nicht den Schluss auf eine solche Ausprägung zu, dass die Unfalleinwirkung in ihrer Art nicht unersetzlich war, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Ruptur verursacht hätte, sind die in der Beweislast des Klägers stehenden anspruchsbegründenden Tatsachen zur Feststellung von Unfallfolgen bewiesen. Tatsachen, die den objektiven medizinischen Befund widerlegen oder im Sinne einer Gelegenheitsursache deutbar machen sollen, stellen rechtsvernichtende Einreden dar, die in der Beweislast der Beklagten stehen, weshalb der Mangel der nicht bewiesenen Tatsache einer nur eine Alltagsbelastung erreichenden Unfalleinwirkung zu Lasten der Beklagten geht.

2. Maßgebend zur Bewertung einer Alltagsbelastung ist nicht das Unfallereignis als solches (zB die Tatsache eines Sturzes) bzw der generell zum Tragen gekommene Kraftaufwand, sondern die Intensität der Einwirkungen auf das verletzte Organ.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. Oktober 2010 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2009 abgeändert und die Beklagte verurteilt, Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab 2. April 2008 zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Verletztenrente wegen eines am 29.10.2007 erlittenen Unfalls zusteht.

Der 1959 geborene Kläger ist als Wertstoffhofarbeiter/Staplerfahrer beschäftigt. Am 29.10.2007 stapelte der Kläger Kühlschränke (Kühl-Gefrierkombinationen) in einem Gehäuseschrott-Container. Dabei drohte ein Kühlschrank von dem Stapel herunterzufallen. Bei dem Versuch dies zu verhindern und dem Kühlschrank auszuweichen stolperte der Kläger über die Kante des Containers und stürzte rückwärts aus dem Container. Er fiel mit dem Rücken auf zur Verladung vor dem Container abgestellte Gefrierkombinationen und dann auf den etwa 30-50 cm vom Containereinstieg tieferliegenden Boden.

Die Durchgangsärztin Dr. T. stellte am 29.10.2007 die Diagnose des Verdachts auf eine Außenbandruptur des rechten oberen Sprunggelenks und eine Schulterdistorsion rechts (Durchgangsarztbericht vom 29.10.2007). Die Sprunggelenksverletzung erwies sich als Außenband-Partialruptur, die mit Schiene versorgt wurde. Sie war im Dezember 2007 bei guter Sprunggelenksbeweglichkeit bis auf eine diskrete Schwellung und das bereits fast resorbierte ursprünglich flächige Hämatom abgeheilt (Zwischenbericht von Dr. B. vom 10.12.2007). Die aufgrund fortbestehender Schulterbeschwerden veranlasste Magnetresonanztomographie (MRT) am 05.12.2007 ergab eine Komplettruptur der Supraspinatussehne rechts (Befundbericht der radiologischen Gemeinschaftspraxis Dr. W. u. Koll. vom 06.12.2007). Während der stationären Behandlung des Klägers vom 10.12. bis 18.12.2007 in der Kreisklinik B. wurde am 11.12.2007 operativ eine Supraspinatussehnenrefixation vorgenommen (Zwischenbericht vom 18.12.2007). Arbeitsfähigkeit trat ab 02.04.2008 wieder ein (D-Arzt Mitteilung von Dr. B. vom 02.04.2008).

Die Beklagten holte in dem von ihr eingeleiteten Feststellungsverfahren die Angaben des Klägers in dem von ihr übersandten Vordruck u.a. zum Unfallhergang (Angaben des Klägers vom 28.04.2008 mit Vermerk des Klägers vom 23.04.2008), das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK - die Gesundheitskasse U.-B. vom 09.05.2008 und vom Radiologen Dr. W. den Befund der MRT der linken Schulter vom 15.04.2008 (Beurteilung: kleine transmurale Läsion der Supraspinatussehne, leichte Gelenkarthritis mit Erguss im Gelenksspalt, unauffällige übrige Rotatorenmanschette, Reizerguss im Bizepssehnenrecessus) ein. Nach der von der Beklagten veranlassten Auswertung der beigezogenen Unterlagen kam der Radiologe Kaspar aufgrund des MRT-Befunds der rechten Schulter vom 05.12.2007 zu dem Ergebnis, dass es sich um eine ältere Supraspinatussehnenruptur handele bei deutlicher Atrophie des Musculus Supraspinatus und unter schwerer AC-Arthrose mit Einengung des Subacromialraumes. In der eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12.06.2008 teilte Dr. S. diese Einschätzung.

Mit Bescheid vom 23.06.2008 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen wegen des Unfalls vom 29.10.2007 über den 09.12.2007 hinaus ab. Bei der Schulterverletzung rechts handele es sich im wesentlichen um einen degenerativ bedingten, bereits älteren Riss der Rotatorenmanschette bei fehlendem verletzungskonformen Erstbefund. Die Ve...

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