Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. objektive Handlungstendenz. Weg von/zur Pflegetätigkeit. Aufschließen der Wohnungstür. kein Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 2 S 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7
Leitsatz (amtlich)
Der Unfall des pflegenden Angehörigen auf dem Weg zum Haus des immobilen Pflegebedürftigen, um den wartenden Hausarzt Zugang zur Wohnung des Pflegebedürftigen zu verschaffen, ist kein versicherter Wegeunfall nach §§ 8 Abs 2 Nr 1, 2 Abs 1 Nr 17 SGB 7, denn das Aufschließen der Haustüre ist nicht der Pflegetätigkeit im Bereich der Mobilität zuzuordnen.
Orientierungssatz
§ 4 Abs 4 SGB 7 steht einer versicherten Tätigkeit als "Wie-Beschäftigtigung" gem § 2 Abs 2 S 1 SGB 7 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7 entgegen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 4. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist (im Zugunstenverfahren) streitig, ob die am 13.06.1955 geborene Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten hat.
In einer Unfallanzeige vom 12.12.2005 teilte der Ehemann der Klägerin der Beigeladenen mit, seine Ehefrau sei auf dem Weg zu ihrer pflegebedürftigen Schwiegermutter auf der Treppe gestolpert, wobei sie sich einen Bruch des linken Wadenbeines zugezogen habe. Die Beigeladene leitete die Unfallanzeige an die Beklagte weiter, da sich der Unfall nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich ereignet habe; die Pflege werde nicht im landwirtschaftlichen Haushalt durchgeführt.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Klägerin unter dem 27.12.2005 ergänzend mit, der Unfall habe sich auf dem Weg zur Schwiegermutter ereignet, um den vor der Haustüre wartenden Hausarzt auf dessen telefonische Bitte die Haustüre aufzuschließen. Außerdem machte die Klägerin Angaben zum Umfang ihrer Pflegetätigkeit (seit 10.11.2005 täglich zwei bis drei Stunden an 7 Tagen pro Woche ohne Entgelt oder sonstige Gegenleistung für Hauspflege, Wäsche, Essen und Besorgungen). Die Schwiegermutter der Klägerin war seit Oktober 2005 in der Pflegestufe II eingestuft. Seit dem Einsatz eines ambulanten Krankenpflegedienstes ab 10.11.2000 - nach einem apoplektischen Insult mit kompletter Hemiparese rechts - erfolgte eine Einstufung in die Pflegestufe III (Pflegegutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung B.-W. vom 23.03.2006, in dem als Pflegeleistungen der Klägerin Wäsche waschen und Mittagessen geben bei eine Pflegezeit von unter 14 Stunden/Woche sowie 14-tägige Arzthausbesuche angeben sind).
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 22.05.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 29.11.2005 ab. Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt nicht zum Kreis der versicherten Personen gehört.
Am 21.11.2008 beantragte die Klägerin den Bescheid vom 22.05.2006 gemäß § 44 SGB X zu überprüfen. Sie machte geltend, sie habe die Schwiegermutter mitgepflegt. Sie habe auch die Aufgabe gehabt, Besuchern die Türe zu öffnen. Der behandelnde Hausarzt habe telefonisch sein Kommen angekündigt. Sie sei dem Auftrag des Hausarztes nachgekommen und habe sich dabei verletzt. Sie habe zum Zeitpunkt des Unfalles unter Versicherungsschutz gestanden. Es habe sich um die Verrichtung einer Pflegetätigkeit bzw. zum Zwecke der Pflege bzw. hausärztlichen Betreuung der Schwiegermutter gehandelt. Die Verschaffung des Zutritts des Arztes zur Wohnung der Schwiegermutter durch das Aufschließen der Haustüre stelle eine Pflege bzw. der gesundheitlichen Betreuung der Schwiegermutter dienende Tätigkeit dar. Es habe sich um eine im Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführte Pflegetätigkeit gehandelt. Ihre am 19.09.2006 verstorbene Schwiegermutter sei aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes nicht mehr in der Lage gewesen, die Haustüre selbst zu öffnen. Sie sei auch in den Pflegeplan mit eingebunden und für die Verabreichung des Mittagessens und Zwischenmahlzeiten, das Wäschewaschen und das Öffnen der Türen für Besucher mit verantwortlich gewesen. Im Übrigen sei sie auch gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII versichert gewesen. Die Klägerin schilderte unter dem 09.01.2009 den Unfallhergang sowie die von ihr erbrachten Pflegeleistungen und legte eine Kopie einer Liegenschaftskarte des Landratsamt B. - Vermessungsamt - bzgl. des Wohnhauses ihrer Schwiegermutter sowie ihres Wohnhauses vor.
Mit Bescheid vom 04.03.2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Rücknahme des Bescheides vom 22.05.2006 gemäß § 44 SGB X ab. Die Tätigkeit der Klägerin zum Unfallzeitpunkt sei als Vorbereitung zur Behandlungspflege gemäß § 37 SGB V zu werten, die nicht unter dem Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII stehe. Die Klägerin habe auch nicht als “Wie-Beschäftigte„ gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Grund für das Tätigwerden am Unfalltag sei eine Verrichtung für den Privathaushalt der Schwiegermutter gewesen. Nach § 4 Abs. 4 SGB...