Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Praxisbesonderheit. kompensatorische Einsparung
Orientierungssatz
1. Erforderlich für die Anerkennung bestimmter Gruppen ärztlicher Leistungen als Praxisbesonderheiten ist, daß sie entweder ihrer Art nach für die Arztpraxen der Vergleichsgruppe atypisch sind oder von ihrer Häufigkeit in der geprüften Arztpraxis her die Durchschnittswerte der Vergleichspraxen wesentlich überschreiten und Ausdruck struktureller Besonderheiten sind (vgl BSG vom 12.10.94 - 6 RKa 6/93 = MedR 1996, 138f).
2. Die Berücksichtigung kompensatorischer Einsparungen erfordert einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den vorliegenden Mehraufwendungen und dem Minderaufwand in anderen Bereichen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung seiner Honorarforderung in der Primär- und Ersatzkassenabrechnung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise im Quartal II/94.
Der Kläger, italienischer Staatsangehöriger, ist als praktischer Arzt in S niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Im Quartal II/94 behandelte er 1.031 Primär- und Ersatzkassenpatienten, davon 53 Rentnerversicherte (Fachgruppe der Allgemeinärzte: 1.037 Patienten, davon 291 Rentnerversicherte). Seine durchschnittliche Honorarforderung je Fall betrug 1.205,6 Punkte bei einem Fachgruppendurchschnitt von 708,3 Punkten. Wegen weiterer Einzelheiten verweist der Senat auf die Prüfliste der Beigeladenen Ziff. 1 (Bl. 1-5 Verw.-Akten).
Auf Antrag der Beigeladenen Ziff. 1 beschloß der Prüfungsausschuß am 8. Februar 1995, die Honorarforderung um 120.090,0 Punkte zu kürzen und zusätzlich eine anteilige Streichung der Wegegebühren in Höhe von 365,75 DM zu verrechnen (Bescheid vom 8. März 1995). Die Vergleichswerte ergeben sich aus folgender Übersicht (Werte des Beklagten, die von denen des Prüfungsausschusses geringfügig abweichen):
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Kürzung |
Fachgruppe |
Arzt Kürzung Abweichung Kürzung |
vor nach vor nach
kurativer Gesamtfallwert auf +1,8 S
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708,3 |
1205,6 |
1089,0 |
+2,4 S +1,8 S |
Zur Begründung führte der Prüfungsausschuß aus, die Prüfung der Behandlungsweise erfolge aufgrund des statistischen Vergleichs mit der Fachgruppe der praktischen Ärzte/ Allgemeinärzte, die mit 1486 Ärzten ausreichend groß und zur Bildung von statistisch aussagekräftigen Durchschnittswerten geeignet sei. Bei einer Überschreitung von 1,8 Sigma (S) gehe er von einem offensichtlichen Mißverhältnis des individuellen Fallwerts im Vergleich zum Fallwert der Fachgruppe aus. Diese Abweichung rechtfertigende Umstände seien nicht ersichtlich. Das Leistungsspektrum entspreche in weiten Teilen dem der Vergleichsgruppe, Arzneikosteneinsparungen in Höhe von 41 % stünden nicht im kausalen Zusammenhang mit den Auffälligkeiten. In Anbetracht dieser Umstände sei der Gesamtfallwert bis auf plus 1,8 S Überschreitung zu kürzen.
Auf den am 15. März 1995 erhobenen Widerspruch änderte der Beklagte mit Beschluß vom 3. Mai 1995/Bescheid vom 12. Mai 1995 die angefochtene Entscheidung ab und kürzte den kurativen Gesamtfallwert auf plus 1,65 S Überschreitung (= 152.770,0 Punkte) bei anteiliger Streichung der Wegegebühren in Höhe von 465,30 DM, belastete den Kläger hinsichtlich der zusätzlichen Kürzungen jedoch nicht. Der Kläger liege im Gesamtfallwert erheblich über dem zum Vergleich herangezogenen Fachgruppendurchschnitt. Hierbei gehe der Beklagte beim eingeschränkten Leistungsspektrum in der Praxis des Klägers von einem offensichtlichen Mißverhältnis bereits bei einer Überschreitung von plus 1,65 S aus. Praxisbesonderheiten, die eine derartige Überschreitung rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Insbesondere liege der Rentneranteil erheblich unter dem Fachgruppendurchschnitt. Der entstandene Minderaufwand bei den Arzneikosten (rentnergewichtet: 34.971,52 DM) stünde nicht im ursächlichen Zusammenhang mit den Überschreitungen.
Am 12. Juni 1995 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben. Die Kürzung sei zu Unrecht erfolgt, der Beklagte habe Praxisbesonderheiten und kompensatorische Kürzungen nicht in genügendem Ausmaß berücksichtigt. Er behandele fast das ausschließlich (95 %) Ausländer, wobei es sich überwiegend um berufstätige Italiener sozialen Unterschicht handele. Diese wichen in ihrem Krankheitsverhalten signifikant von den deutschen Patienten insoweit ab, als sie ärztlichen Rat häufiger und aus geringen Anlässen in Anspruch nähmen. Es bestehe eine mit dem Leben im Ausland zusammenhängende Somatisierungstendenz. Der hohe Arbeiteranteil führe zudem zu überdurchschnittlicher Krankheitsanfälligkeit, vor allem bei Erkrankungen des HNO-Bereichs. Hierdurch erklärten sich die Überschreitungen in der Leistungsgruppe 03/Leistungsziffer 63 (vollständige Untersuchung mindestens eines Organsystems...) und der Leistungsgruppe 04/Leistungsziffer 76 (schriftlicher Diätplan bei schweren Ernährungs- oder Stoffwechselstörungen, speziell für den einzelnen Patienten aufgestellt). Auch die Berücksichtigun...