Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. Verkürzung der Anspruchsdauer zum 1.1.2004 bzw 1.2.2006. Übergangsregelungen. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Die zum 1.1.2004 bzw 1.2.2006 durch ArbMRefG vom 24.12.2003 in Kraft getretene Verkürzung der Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes durch Neufassung des § 127 Abs 2 SGB 3 verletzt unter Berücksichtigung der Übergangsvorschriften und der zum 1.1.2008 in Kraft getretenen Verlängerung der Anspruchsdauer durch das SGB3uaÄndG 7 weder Art 14 GG noch Art 20 Abs 3 GG.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.09.2010; Aktenzeichen B 7 AL 23/09 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) im Streit.

Der 1949 geborene Kläger war von April 1964 bis 30.11.2006 als Baufacharbeiter beschäftigt und bezog Krankengeld bis 18.12.2006. Außerdem erhält er seit dem 01.07.2005 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg vom 13.03.2006).

Am 15.11.2006 beantragte der Kläger, ihm mit Wirkung zum 19.12.2006 Alg zu gewähren, worauf ihm die Beklagte mit Bescheid vom 16.11.2006 und nachfolgend mit Änderungsbescheid vom 27.11.2006 Alg ab dem 19.12.2006 mit einer Anspruchsdauer von 450 Tagen bewilligte. Im sich anschließenden Widerspruchsverfahren wies der Kläger beitragspflichtige Zeiten von mehr als 1080 Tagen nach. Hierauf hob die Beklagte mit Bescheid vom 29.12.2006 den Bescheid vom 27.11.2006 auf und bewilligte mit Änderungsbescheid vom selben Tag Alg für 540 Leistungstage. Den vom Kläger aufrecht erhaltenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2007 zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe innerhalb der um ein Jahr verlängerten Rahmenfrist 36 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis zurückgelegt und damit gemäß § 127 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) eine Alg-Anspruchsdauer von 18 Monaten erworben. Da der Anspruch des Klägers erst am 19.12.2006 entstanden sei, weil er bis 30.11.2006 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe sowie bis 18.12.2006 arbeitsunfähig krank gewesen sei und Krankengeld bezogen habe, sei die Übergangsregelung des § 434 j Abs. 3 SGB III nicht anwendbar.

Hiergegen hat der Kläger am 29.03.2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Er hat, gestützt auf ein Gutachten von Prof. Dr. U. M, geltend gemacht, dass ihm Alg mit einer Anspruchsdauer von 32 Monaten (960 Tage) zu gewähren sei. Die von Seiten des Gesetzgebers vorgenommene Kürzung der Anspruchsdauer des Alg für ältere Arbeitnehmer von bisher 32 Monaten auf 18 Monate sei nicht verfassungsgemäß. Sie greife in seine geschützte Eigentumsposition nach Artikel (Art.) 14 Grundgesetz (GG) ein. Auch die Dauer des Anspruchs auf Alg sei als sozialrechtliche Eigentumsposition anzusehen. Dem Gesetzgeber seien bestimmte Schranken auferlegt, wenn er diese Rechtsposition verkürzen wolle. Das Bundessozialgericht (BSG) räume dem Gesetzgeber insoweit zwar grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum ein. Allerdings müsse die Maßnahme neben der Eignung auch erforderlich sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Sie dürfe den Betroffenen insbesondere nicht übermäßig belasten und deswegen unzumutbar sein. Die hier vorgenommene Kürzung möge zwar zu Einsparungen im Haushalt der Bundesagentur führen. Es mangele jedoch an dem Nachweis der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit. Es sei sachwidrig, lediglich bei den Beschäftigten anzusetzen und ihnen die gesamten Kosten und das gesamte Risiko der Frühverrentung aufzubürden. Der Gesetzgeber habe auch nicht den Nachweis erbracht, dass es durch die eingeführte Kürzung des Bezugs von Alg zu dem beabsichtigten Ergebnis (Entlastung des Haushalts der Bundesagentur, Vermeidung der Frühverrentung) gekommen sei. Im übrigen bestehe der verlängerte Bezug von Alg für ältere Arbeitslose bereits seit 1984. Damit stelle sich vorliegend auch die Frage des Vertrauensschutzes. Er habe über Jahrzehnte Beiträge zur Arbeitslosenversicherung geleistet und habe aufgrund der bisherigen Gesetzgebung darauf vertrauen dürfen, dass er bei Arbeitslosigkeit im fortgeschrittenen Alter eine längere Bezugsdauer zu erwarten habe. Dem entsprechend habe für ihn auch kein Anlass bestanden, sich durch private Vorsorge für den Fall einer Arbeitslosigkeit im Alter abzusichern.

Die Beklagte hat dagegen vorgetragen, mit den durchgeführten Änderungen zu Lasten der Arbeitslosen sollten gesamtwirtschaftlich erwünschte Spielräume für die Senkung des Beitrags zur Arbeitsförderung eröffnet und den bisherigen Tendenzen zur Frühverrentung entgegen gewirkt werden. Insbesondere solle der wirtschaftliche Druck auf Arbeitslose verstärkt werden, in Zukunft früher geringerwertige Beschäftigungen anzunehmen. Durch die Übergangsvorschriften der § 434 j Abs. 3 und 434 l Abs. 1 SGB III, wonach die geänderten Regelungen erst für Alg-Ansprüche anzuwenden ...

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