Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufsichtsrecht. Zustimmung zum Abschluss, zur Verlängerung oder zur Änderung eines Vorstandsdienstvertrags einer Krankenkasse. Ermessensentscheidung. Genehmigung einer automatischen Bezügeanpassung. Nichtausübung des Ermessens. Ermessensreduzierung auf Null
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung des Beklagten als Aufsichtsbehörde über die Zustimmung zum Abschluss, zur Verlängerung oder zur Änderung eines Vorstandsdienstvertrags ist eine Ermessensentscheidung, weshalb auch die Genehmigung einer automatischen Bezügeanpassung im Ermessen der Behörde steht. Übt die Beklagte dieses Ermessen ohne zulässigen Grund nicht aus, etwa weil sie jegliche automatische Bezugsanpassung für rechtswidrig erachtet, führt dies zur Aufhebung und Verpflichtung zur Neubescheidung.
2. Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit einen zulässigen Grund für die Nichtausübung des Ermessens stellt hingegen eine automatische Bezugsanpassung mittels dynamischer Verweisung dar, da diese nicht genehmigungsfähig ist.
Orientierungssatz
Um eine gleichmäßige Ermessensausübung zu gewähren, die Rechtskonkretisierung der Krankenkassen zu strukturieren und eine nachhaltige präventive Wirkung zu erzielen, sind Aufsichtsbehörden gehalten, die Ermessenskriterien in allgemeinen Verwaltungsvorschriften festzulegen. Dies folgt aus Sinn und Zweck der Norm des § 35a Abs 6a S 1 SGB 4 sowie ihrem Regelungssystem nebst ihrer Entstehungsgeschichte, ohne dass der Wortlaut entgegensteht. Es steht mit den allgemeinen Grundsätzen von öffentlich-rechtlichen Koppelungsvorschriften in Einklang und ist verfassungsrechtlich unbedenklich (so ausdrücklich: BSG vom 30.3.2018 - B 1 A 1/17 R = BSGE 125, 207 =SozR 4-2400 § 35a Nr 5).
Nachgehend
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 12.10.2017 hinsichtlich der Zustimmung zur Änderungsvereinbarung zu dem Vorstandsdienstvertrag zwischen der Klägerin und dem Vorstandsvorsitzenden Dr. H. wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Antrag auf Zustimmung gemäß § 35a Abs. 6a Satz 1 SGB IV zu der mit Schreiben vom 26.07.2017 zur Zustimmungserteilung vorgelegten Änderungsvereinbarung zu dem Vorstandsdienstvertrag zwischen der Klägerin und dem Vorstandsvorsitzenden Herrn Dr. H. neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt ¾ und die Beklagte ¼ der Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Der Streitwert wird endgültig auf € 20.000,00 festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die aufsichtsbehördliche Zustimmung des Beklagten zu zwei Änderungsvereinbarungen bzgl. zweier Vorstandsdienstverträgen in der jeweiligen Fassung vom 15.12.2015.
Die Klägerin ist eine Allgemeine Ortskrankenkasse mit Sitz in Baden-Württemberg, deren Zuständigkeitsbereich sich auf dieses Bundesland beschränkt. Der Vorstand der Klägerin besteht aus zwei Personen: dem Vorstandsvorsitzenden Dr. H. (im Folgenden: Dr. H) und dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden N. (im Folgenden N.). Beide üben die Vorstandstätigkeit hauptamtlich aus. Dr. H. ist seit 01.07.2000, N. sei 01.10.2011 Mitglied des Vorstandes der Klägerin. Die aktuelle (vierjährige) Amtsperiode des Dr. H endet am 31.12.2019, die (sechsjährige) Amtsperiode des N. am 31.12.2021.
Im Rahmen der Verlängerung der Vorstandsdienstverträge im Jahr 2015 beabsichtigte der Verwaltungsrat der Klägerin mit den beiden Vorstandsmitgliedern u. a. eine stufenweise steigende Grundvergütung zu vereinbaren, die sich während der Vertragslaufzeit automatisch zu in den Bezügen bestimmten Zeitpunkten um darin vereinbarte Beiträge erhöhen sollte („gestaffelte Bezüge“). Die Beklagte erteilte für die Vertragsentwürfe die erforderliche Zustimmung gem. § 35a Abs. 6a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) u. a. aufgrund der vorgesehenen Regelung über die gestaffelte Grundvergütung nicht.
Am 23.10.2015 beantragte die Klägerin daher beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG), den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Zustimmung zu den ausgehandelten Vorstandsdienstverträgen zu erteilen (L 11 KR 4430/15 ER). Insoweit fand am 19.11.2015 ein Erörterungstermin statt, in dem der Vorsitzende des 11. Senats des LSG darauf hinwies, dass er nach summarischer Prüfung die Vereinbarung von gestaffelten Bezügen für rechtlich problematisch erachte, andere von der Aufsichtsbehörde beanstandete Regelungen in den Vorstandsdienstverträgen, insbesondere die Erhöhung der festen Jahresbezüge für den Vorstandsmitglieder aber für zulässig erachte. Auf Vorschlag des Gerichts änderte die Klägerin die Vorstandsdienstverträge für die weitere Amtsperiode u. a. dahingehend ab, dass ab dem 01.01.2016 eine erhöhte Grundvergütung ohne gestaffelte Bezüge vereinbart wurde. Es wurde für den Vorstandsvorsitzenden Dr. H. eine Grundvergütung in Höhe von 200.000,00 € und für den stellvertretenden Vorstandvorsitzenden N. eine Grundvergütung in Höhe von 170.000,00 € vereinbart (Dienstvert...