Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Aufbau- bzw Jungpraxen. Durchschnittsumsatz der Fachgruppe. Medizinisches Versorgungszentrum. Einstufung als Aufbau- bzw Jungpraxis. Honorarverteilungsvertrag. Privilegierung von Aufbau- bzw Jungpraxen. Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

In der Anfangsphase vertragsärztlicher Tätigkeit (als "Wenigabrechner") unterdurchschnittlich abrechnende Praxen (Aufbau- bzw. Jungpraxen) müssen in effektiver und realistischer Weise zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe aufschließen können (vgl BSG vom 17.7.2013, - B 6 KA 32/12 R = BSGE 113, 298 = SozR 4-2500 § 85 Nr 76; vom 10.3.2004, - B 6 KA 3/03 R = BSGE 92, 233 = SozR 4-2500 § 85 Nr 9, jeweils juris). Das gilt auch für Medizinische Versorgungszentren (MVZ); für deren Einstufung als Aufbau- bzw Jungpraxis kommt es auf ihren Gründungszeitpunkt und nicht auf den Zeitpunkt der erstmaligen Zulassung der unter Zulassungsverzicht in das MVZ eintretenden Ärzte an. Regelungen des Honorarverteilungsvertrags über die Privilegierung von Aufbau- bzw. Jungpraxen (wie: Berechnung des Regelleistungsvolumens nach Fachgruppendurchschnittswerten) sind auf das Aufbau- bzw Jung-MVZ ggf entsprechend anzuwenden oder wegen des Grundsatzes der Honorarverteilungsgerechtigkeit verfassungskonform auszulegen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.11.2012 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des (undatierten) RLV-Zuweisungsbescheids für das Quartal 1/2009 sowie der RLV-Zuweisung im Honorarbescheid für das Quartal 1/2009 vom 07.10.2009 (in der Gestalt des Honorarkorrekturbescheids vom 24.06.2010 und des Widerspruchsbescheids vom 02.02.2011) und unter Aufhebung des Bescheids vom 07.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.02.2011 verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf Zuweisung eines höheren RLV für das Quartal 1/2009 vom 30.04.2009 hinsichtlich der Berechnung des auf Dr. K.-H. L. entfallenden Teil-RLV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt 3/4, die Beklagte 1/4 der Kosten des Verfahrens im Klageverfahren. Die Klägerin und die Beklagte tragen jeweils die Hälfte der Kosten des Verfahrens im Berufungsverfahren.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,00 € endgültig festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zuweisung eines höheren Regelleistungsvolumens (RLV) für das Quartal 1/2009.

Die Klägerin ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Trägerin des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) O. mit Sitz in Of., G. Straße ... Das MVZ ist seit dem 01.10.2007 zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In dem MVZ waren im Quartal 1/2009 die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. U. L. und der Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie Dr. K.-H. L. jeweils mit dem Anrechnungsfaktor 1,0 als angestellte Ärzte tätig. Beide Ärzte hatten am 30.07.2007 zugunsten des MVZ auf die ihnen zum 01.10.1993 bzw. zum 01.04.1990 erteilten Zulassungen zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung verzichtet. Sie waren als niedergelassene Vertragsärzte in Gemeinschaftspraxis mit Sitz in Of., H. Straße ... (etwa 1,5 km entfernt vom Sitz des MVZ), tätig gewesen.

Der Erweiterte Bewertungsausschuss (EBewA) fasste in seiner 7. Sitzung am 27. und 28.08.2008 einen Beschluss zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung ab 01.01.2009 (DÄBl. 38/2008, A - 1988; im Folgenden EBewA-Beschluss 2009). Teil F dieses Beschlusses hat (mit Wirkung zum 01.09.2008) die Berechnung und Anpassung von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen (RLV) nach § 87b Abs. 2 und 3 SGB V (in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.03.2007, BGBl I S. 378, im Folgenden nur SGB V) zum Gegenstand (§ 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V). Der für den Zuständigkeitsbereich der Beklagten ab 01.01.2009 geltende Honorarverteilungsvertrag (im Folgenden HVV 2009) hatte die Beschlussregelungen des EBewA weitgehend wortgleich (in Teil B § 14) übernommen. Der EBewA-Beschluss 2009 regelt in Teil F Nr. 1 bis 3 die Grundsätze der Vergütung der Ärzte, den Umfang des von den RLV umfassten Teils der vertragsärztlichen Vergütung und die Ermittlung und Festsetzung der RLV; unter Nr. 1.1 sind zur Vergütung vertragsärztlicher Leistungen auch Regelungen über die abgestaffelte (geminderte) Vergütung der das RLV übersteigenden Leistungen getroffen.

Mit undatiertem Bescheid wies die Beklagte dem MVZ für das Quartal 1/2009 ein auf der Grundlage der Fallzahl des Vorjahresquartals (1/2008) ermitteltes RLV in Höhe von 51.751,34 € zu.

Mit Schreiben vom 30.12.2008 (nicht bei den Verwaltungsakten) erhob die Klägerin Widerspruch gegen den RLV-Zuweisungsbescheid und beantragte mit - zur Begründung des Widerspruchs vorgelegtem - Schriftsatz vom 30.04.2009 die Zuweisung eines höheren RLV. Der RLV-Zuweisungsbescheid für das Quartal 1/2009 weise (unter Nr. 3) einen ...

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