Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe. arbeitsvertragswidriges Verhalten. Entzug der Fahrerlaubnis eines Berufskraftfahrers wegen fahrlässiger Gefährdung im Straßenverkehr. fehlende grob fahrlässige Verursachung der Arbeitslosigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Wird einem Berufskraftfahrer wegen einer Verkehrsstraftat die Fahrerlaubnis entzogen und kündigt der Arbeitgeber daraufhin das Arbeitsverhältnis, weil er den Mitarbeiter nicht mehr beschäftigen kann, so war ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Ursache der Arbeitslosigkeit, weswegen grundsätzlich eine Sperrzeit eintreten kann.
2. Es fehlt jedoch an der groben Fahrlässigkeit des Mitarbeiters bezüglich der Verursachung der Arbeitslosigkeit, wenn der Grund für den Entzug der Fahrerlaubnis lediglich eine fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs - ohne Einfluss berauschender Mittel - war und ihm auch wegen der Umstände des Einzelfalles kein leichtfertiges Verhalten vorgeworfen werden kann.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens.
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Ulm (SG), das einen Sperrzeitbescheid aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung weiteren Arbeitslosengeldes (Alg) verurteilt hat.
Der am … 1956 geborene Kläger war ab dem 07.01.2008 bei der Spedition H. M. (im Folgenden: Spedition) als Kraftfahrer beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag war er selbst für die Einhaltung der Verkehrsvorschriften verantwortlich. Ferner sah der Vertrag das Recht der Spedition zur fristlosen Kündigung vor, wenn der Kläger durch behördliche oder gerichtliche Anordnung einstweilen oder endgültig die Fahrerlaubnis verliere oder gegen ihn ein Fahrverbot verhängt werde.
Am 18.03.2009 befuhr der Kläger mit einem Lkw der Spedition mit Anhänger die B 463 von Albstadt kommend Richtung Winterlingen. Zahlreiche Pkw fuhren vor und hinter dem Kläger in einer Schlange hinter einem Traktor mit Gülleanhänger. Bei Beginn der zweispurigen Ausbaustrecke der B 463 “Winterlinger Steige„ befindet sich das Verkehrszeichen 277 “Überholverbot für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 t„. Der Lkw des Klägers war deutlich schwerer als 3,5 t und zudem mit Aluminiumresten beladen. Nach Beginn der Steige begannen zahlreiche Pkw vor dem Kläger den mit ca. 30 km/h fahrenden Traktor zu überholen. Dadurch tat sich vor dem Lkw des Klägers eine Lücke auf. Der Kläger beschleunigte deswegen, um ebenfalls zu überholen. In einer sehr lang gezogenen Rechtskurve zog er den Lkw samt Anhänger nach etwa ein bis dreimaligem Blinken nach links auf die Überholspur. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich bereits andere Fahrzeuge auf der Überholspur, eines von ihnen etwa in Höhe des Anhängers. Mindestens diesen Pkw konnte der Kläger wegen der Krümmung des Straßenverlaufs durch seine beiden Außenspiegel nicht sehen. Der Fahrer dieses Pkw verhinderte durch sofortiges, starkes Bremsen einen Zusammenstoß mit dem Lkw des Klägers. Dies führte dazu, dass das nachfolgende Fahrzeug auf diesen Pkw auffuhr, das einen zu geringen Sicherheitsabstand eingehalten hatte. Der Sachschaden allein an diesem Pkw betrug € 10.000,00. Der Kläger, der den Unfall nicht bemerkt hatte, fuhr weiter. Er erfuhr davon erst im Laufe des Tages durch seinen Arbeitgeber, den die Polizei durch eine Halterabfrage ermittelt hatte.
Das Amtsgericht (AG) Albstadt erließ unter dem 22.04.2009 gegen den Kläger einen Strafbefehl (4 Cs 12 Js 2872/09) wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, in dem - unter anderem - die Fahrerlaubnis für neun Monate entzogen wurde. Nachdem der Kläger Einspruch eingelegt hatte, entzog ihm das AG mit Beschluss vom 06.05.2009 vorläufig die Fahrerlaubnis und ordnete die Beschlagnahme des Führerscheins an. Die Polizei führte den Beschluss am 07.05.2009 aus. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss vom 06.05.2009 wies das Landgericht (LG) Hechingen (1 Qs 32/09) mit Beschluss vom 20.05.2009 zurück. Das AG Albstadt verurteilte den Kläger am 27.07.2009 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen, seine Fahrerlaubnis wurde mit einer Sperrfrist von noch vier Monaten entzogen. Das Urteil führt aus, dass eine Eintragung im Verkehrszentralregister wegen eines Rotlichtverstoßes im Mai 2008 vorlag. Als angewandte Vorschriften nannte das AG unter anderem § 315c Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 3 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB).
Mit Schreiben vom 07.05.2009 kündigte die Spedition das Arbeitsverhältnis des Klägers “aus betrieblichen Gründen zum 08.05.2009, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt„. Kündigungsschutzklage wurde nicht erhoben.
Der Kläger meldete sich am 12.05.2009 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Er teilte mit, ihm sei gekündigt worden, weil ihm der Führerschein entzogen worden und eine andere Arbeit nicht möglich ge...