Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung. freiwillige Weiterversicherung/Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag. Kappung der Antragsfrist für langjährige Selbstständige. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Übergangsregelung des § 434j Abs 2 S 2 SGB 3, eingefügt durch Art 2 Nr 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (juris: GSiFoG) vom 20.7.2006 (BGBl I 2006, 1706), in Kraft getreten mit Wirkung vom 1.6.2006 (Art 16 Abs 3 GSiFoG), wodurch die Antragsfrist für die freiwillige Weiterversicherung nach § 28a SGB 3 teilweise nachträglich geändert und unterschiedlich - abhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung und der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit in der Vergangenheit - geregelt wurde, verstößt nicht gegen das GG. Dies gilt jedenfalls für die Fälle, in denen der Antrag nicht nur nach dem 31.5.2006, sondern erst nach der Verkündung des Gesetzes am 20.7.2006 gestellt worden ist.
Normenkette
SGB III §§ 28a, 434j Abs. 2 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. April 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin zur freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung berechtigt ist.
Die 1957 geborene Klägerin war vom 01.06.1986 bis 31.03.1996 als Ärztin in verschiedenen Kliniken beschäftigt. Vom 01.04.1996 bis 30.06.1997 war sie, unterbrochen durch eine Zeit der Arbeitslosigkeit vom 01.04. bis 30.04.2007, als Praxisvertretung in verschiedenen Arztpraxen bzw. im Notfalldienst tätig. Seit dem 01.07.1997 übt sie eine selbständige Tätigkeit als Kinderärztin in der eigenen Praxis aus.
Am 13.09.2006 stellte sie bei der Beklagten den Antrag auf freiwillige Weiterversicherung in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung als Selbständige mit sofortiger Wirkung. Mit Bescheid vom 04.10.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, seit 01.02.2006 bestehe für Selbständige und Auslandsbeschäftigte die Möglichkeit nach § 28 a Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag zu begründen. Der Antrag müsse spätestens innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtige, gestellt werden. Für Personen, die bereits längere Zeit eine selbständige Tätigkeit ausübten, sehe eine Übergangsregelung vor, dass sie die freiwillige Weiterversicherung in Anspruch nehmen könnten, wenn sie den Antrag bis zum 31.12.2006 stellten. Durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (GSiFoG) seien die Voraussetzungen ab dem 01.06.2006 genauer definiert worden. Danach könnten Personen, die wegen einer selbständigen Tätigkeit oder Auslandsbeschäftigung nach dem 01.06.2006 einen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung stellten, nur dann in die freiwillige Weiterversicherung aufgenommen werden, wenn sie ihre Tätigkeit oder Beschäftigung nach dem 31.12.2003 aufgenommen hätten. Da die Klägerin ihre selbständige Tätigkeit bereits vor diesem Zeitpunkt aufgenommen habe lägen die Voraussetzungen für die Aufnahme in ein freiwilliges Versicherungsverhältnis nicht vor.
Den hiergegen am 24.10.2006 mit der Begründung erhobenen Widerspruch, die Übergangsregelung für bereits vor dem 31.12.2003 selbständig Tätige sei zunächst auf den 31.12.2006 begrenzt gewesen, diese Frist habe sie eingehalten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.12.2006 zurück. Die angefochtene Entscheidung entspreche dem geltenden Recht.
Die hiergegen am 29.01.2007 erhobene Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) hat das SG mit Urteil vom 27.04.2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe in zutreffender Weise die fristverkürzende Regelung des § 434 j Abs. 2 Satz 2 SGB III ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Bedenken gegen die Verfassungswidrigkeit dieser Norm seien nicht durchgreifend. Insbesondere liege kein Verstoß gegen Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Artikel 20 Abs. 3 GG) sowie dem Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 GG vor. § 434 j Abs. 2 Satz 2 SGB III, der eine nachträgliche Verkürzung der Antragsfrist vorsehe, stelle zwar eine echte Rückwirkung dar. Hierbei sei jedoch zu berücksichtigen, dass ein potenzielles Versicherungspflichtverhältnis nach § 28 a Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III ohnehin am 31.12.2010 enden würde.
Gegen das am 02.08.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.08.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die rückwirkende Verkürzung der Antragsfrist sei verfassungswidrig. Sie verstoße zum einen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da ein Grund für die Ungleichbehandlung von selbständigen, die ihre Tätigkeit vor dem 01.01.2004 aufgenommen hätten, nich...