Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Berufung. Zulassungsvoraussetzung. Beschwerdewert -Krankenversicherung. Befreiung von der Zuzahlungspflicht. Bescheid über Feststellung der Belastungsgrenze. Geltung ausschließlich für ein Kalenderjahr. keine wiederkehrende oder laufende Leistung iSd § 144 Abs 1 S 2 SGG. kein Rechtsschutzbedürfnis für zeitlich unbegrenzten Anspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Bescheid einer Krankenkasse, mit dem diese die Belastungsgrenze des Versicherten für ein Kalenderjahr feststellt, entscheidet ausschließlich über die Zuzahlungspflicht für dieses Kalenderjahr. Der Rechtsstreit betrifft damit nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr.

Bescheide, mit denen die Krankenkasse die Belastungsgrenze des Versicherte für die darauffolgenden Kalenderjahre festsetzt, werden nicht Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens.

2. Für die Geltendmachung eines zeitlich unbegrenzten Anspruchs fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 17.02.2020; Aktenzeichen B 1 KR 21/19 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 2. Juni 2017 wird verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Zuzahlungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die 1971 geborene, ledige Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie lebt in einem Pflegeheim und bezieht seit August 2015 (voraussichtlich auf Dauer) Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Auf den Antrag der Klägerin, sie von den gesetzlichen Zuzahlungen zu befreien, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 4. November 2015 die Belastungsgrenze der Klägerin für das Jahr 2016 auf € 48,48 fest. Bis zu diesem Betrag seien Zuzahlungen von der Klägerin zu leisten.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und trug zur Begründung im Wesentlichen vor, die Entscheidung der Beklagten entspreche zwar den gesetzlichen Regelungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Anwendung der Normen auf den vorliegenden Fall sei jedoch verfassungswidrig. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2008 (Urteil vom 22. April 2008 - B 1 KR 10/07 R - juris), wonach das Existenzminimum durch die Zuzahlungsverpflichtung nicht unterschritten werde, sei durch die aktuellere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 - juris) zu den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz überholt. Der monatliche Barbetrag nach § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII in Höhe von € 107,73 im Jahr 2015 liege schon bedeutend unterhalb des vom BVerfG festgesetzten physischen und soziokulturellen Existenzminimums und dürfe deshalb nicht weiter geschmälert werden. Sie begehre deshalb, ihr die Vorauszahlungen für 2016 und alle anderen Aufwendungen für nach § 34 SGB V für von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel im Jahr 2016 zu erstatten und zukünftig nicht mehr anzufordern.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin unter Verweis auf die Regelung in § 62 SGB V zurück. Die gesetzlich vorgegebenen Belastungsgrenzen seien eingehalten worden.

Am 1. Februar 2016 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage und beantragte, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 zu verurteilen, die Vorauszahlungen für 2016 und alle anderen Aufwendungen für nach § 34 SGB V für von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel im Jahr 2016 zu erstatten und zukünftig nicht mehr anzufordern. Zur Begründung wiederholte sie im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren. Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Normen seien verfassungswidrig. Insbesondere liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von ihr im Vergleich zu Asylbewerbern vor. Der Rechtsstreit sei dem BVerfG vorzulegen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Urteil vom 2. Juni 2017 wies das SG die Klage der Klägerin ab und führte zur Begründung aus, das Begehren der Klägerin sei dahingehend auszulegen, dass sie die Befreiung von der Zuzahlungsverpflichtung ab dem Jahr 2016 sowie die Erstattung der bereits erfolgten Vorauszahlungen begehre. Die zulässige Klage sei unbegründet, weil der angefochtene Bescheid vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 rechtmäßig sei. Die Entscheidung beruhe auf der geltenden Rechtslage. Rechtsgrundlage seien die §§ 61, 62 SGB V. Die Belastungsgrenze betrage zwei von Hundert der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Bei Versicherten wie der Klägerin sei der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe I nach der Anlage zu § 28 SGB XII maßgeblich. Für das Jahr 2016 ergebe sich daraus e...

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