Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhaus. Aufwandspauschale bei einer Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit vor 2016. keine Rückforderung von vorbehaltlos gezahlten Aufwandspauschalen in den Jahren 2009 bis 2012
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit vor 2016 besteht kein Anspruch des Krankenhauses auf Zahlung einer Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V (Anschluss an BSG vom 1.7.2014 - B 1 KR 29/13 R = BSGE 116, 165 = SozR 4-2500 § 301 Nr 4, B 1 KR 1/13 R = BSGE 116, 146 = SozR 4-2500 § 115b Nr 5 und B 1 KR 48/12 R = BSGE 116, 130 = SozR 4-2500 § 276 Nr 6). In den Jahren 2009 bis 2012 vorbehaltlos gezahlte Aufwandspauschalen können in derartigen Fällen von den Krankenkassen gleichwohl nicht zurückgefordert werden. Die Rückforderung stellt sich angesichts der zwischen den professionellen Beteiligten damals einvernehmlich praktizierten Verfahrensweise als unbillig dar.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14.03.2018 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.800 € festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der von ihr gezahlten Aufwandspauschalen nach § 275 Abs 1c Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Höhe von insgesamt 1.800 €.
Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, die Beklagte ein als anerkannte Hochschulklinik nach § 108 Nr 1 SGB V zugelassenes Krankenhaus.
Der Erstattungsforderung liegen sechs stationäre Behandlungsfälle bei der Beklagten in den Jahren 2009 bis 2012 von bei der Klägerin krankenversicherten Personen zugrunde. Die Klägerin beglich die hierfür gestellten Rechnungen und gab beim Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens (MDK) eine Überprüfung der Abrechnungen in Auftrag. Die von der Beklagten vorgenommene Kodierung erwies sich als korrekt. Es kam zu keiner Minderung der Abrechnungsbeträge. Die im Jahr 2012 für diese Fälle von der Beklagten in Rechnung gestellte Aufwandspauschale iHv jeweils 300 € wurde von der Klägerin bezahlt.
Mit Schreiben vom 30.11.2016 forderte die Klägerin von der Beklagten die gezahlten Aufwandspauschalen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.10.2016 zurück. Nach den Entscheidungen des BSG sei bei Kodierungsprüfungen als sachlich-rechnerische Tatbestände keine Aufwandspauschale zu zahlen. Die ab dem 01.01.2016 geltende Neuregelung des § 275 Abs 1c Satz 4 SGB V entfalte keine Rückwirkung.
Nachdem die Beklagte dieser Zahlungsaufforderung keine Folge leistete, hat die Klägerin am 27.12.2016 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zur Zahlung von 1.800 € zu verurteilen. Zur Begründung hat die Klägerin erneut unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG in seinen Urteilen vom 25.10.2016 ausgeführt, dass für die Beklagte kein Anspruch auf Erhalt einer Aufwandspauschale bestanden habe, da eine sachlich-rechnerische Abrechnungsprüfung erfolgt sei. Das BSG habe ausdrücklich klargestellt, dass Kodierungsprüfungen sachlich-rechnerische Tatbestände darstellten, bei denen keine Aufwandspauschale zu zahlen sei, auch wenn sich der Rechnungsbetrag nicht mindere. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Krankenkasse im Prüfauftrag an den MDK oder der MDK in der Anforderung von Unterlagen beim Krankenhaus Bezug auf § 275 Abs 1 oder Abs 1c SGB V genommen habe. Ferner handele es sich bei § 275 Abs 1c Satz 4 SGB V um eine ab dem 01.01.2016 geltende gesetzliche Neuregelung, die keinerlei Rückwirkung entfalte. Die Zahlung sei rechtsgrundlos erfolgt und deshalb zurückzuerstatten. Der Rückzahlungsanspruch sei weder verwirkt noch verjährt.
Die Beklagte hat geltend gemacht, die Klägerin habe in keinem der eingeklagten Fälle den Prüfauftrag an den MDK als sachlich-rechnerische Überprüfung tituliert. Dieser habe die Prüfaufträge auch nicht als sachlich-rechnerische Überprüfung angesehen, sondern sich auf § 275 Abs 1 Nr 1, Abs 1c SGB V berufen. Auch die Klägerin selbst sei davon ausgegangen, dass es sich um Überprüfungen gemäß § 275 Abs 1c SGB V gehandelt habe. Bei den Überprüfungen habe es sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers um Auffälligkeitsprüfungen nach dem übereinstimmenden Willen aller Verfahrensbeteiligten gehandelt. Der Anwendung der Rechtsprechung des BSG zur sachlich-rechnerischen Überprüfung auf Fälle vor dem 01.07.2014 stehe das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot entgegen. Der Erste Senat des BSG habe das neue Prüfinstitut der sachlich-rechnerischen Überprüfung erstmals in seiner Entscheidung vom 01.07.2014 propagiert, obwohl er wie auch der Dritte Senat des BSG zuvor über Jahre hinweg alle MDK-Überprüfungen ausnahmslos von § 275 Abs 1 Nr 1, Abs 1c SGB V erfasst angesehen habe. Würde man die Rechtsprechung des BSG vom 01.07.2014 auf Sachverhalte vor diesem Zeitpunkt erstrecken, würde man abgeschlossene Sac...