Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches ohne Zustimmung des Grundsicherungsträgers. rechtswidrig verweigerte Zustimmung. Ortabwesenheit für länger als sechs Wochen
Leitsatz (amtlich)
1. Wird die Zustimmung nach § 3 Abs 1 S 1 EAO (juris: ErreichbAnO) nicht rechtzeitig erteilt oder zu Unrecht verweigert, schließt das die Erreichbarkeit dann nicht aus, wenn die Ortsabwesenheit unaufschiebbar ist und die Zustimmung zu erteilen gewesen wäre.
2. Maßgeblich für die Beurteilung, ob sich der Leistungsempfänger iS des § 3 Abs 4 EAO zusammenhängend länger als 6 Wochen außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalten will, ist die ex ante-Sicht.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24.04.2019 abgeändert.
Der Bescheid vom 31.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2018 wird aufgehoben, soweit Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vor dem 16.06.2018 aufgehoben worden ist und soweit die Erstattung von Arbeitslosengeld über 334,35 € hinaus geltend gemacht worden ist und im Übrigen die Klage abgewiesen.
Soweit im Urteil der Klage für den Zeitraum vor dem 16.06.2018 stattgegeben worden ist, wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich gegen die nachträgliche Aufhebung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und die hierauf gestützte Erstattungsforderung.
Der 1981 geborene Kläger bezog seit März 2017 Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Er bewohnte im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund ortspolizeilicher Einweisungsverfügung eine Obdachlosenunterkunft, für die eine monatliche Nutzungsentschädigung i.H.v. 281 € (inklusive einer Vorauszahlung für Haushaltsstrom i.H.v. 28,30 €) anfiel. Ausweislich eines Aktenvermerks vom 03.04.2017 wurde der Kläger an diesem Tag wegen einer nicht genehmigten Ortsabwesenheit von den Mitarbeiterinnen des Beklagten eindringlich über die Regelungen zur Ortsabwesenheit belehrt und er kündigte an, diese künftig zu beachten.
Mit Bescheid vom 06.06.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II i.H.v. monatlich 661,70 € für den Zeitraum von Juli 2017 bis Juni 2018.
Am 18.05.2018 sprach der Kläger beim Beklagten vor und berichtete, dass er am 26.05.2018 zu seiner schwangeren Freundin nach Schleswig-Holstein fahren wolle, da am 28.05.2018 der Geburtstermin des gemeinsamen Kindes sei. Ausweislich des Aktenvermerkes hierüber wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er eine Ortsabwesenheit dem Beklagten melden müsse, er nur 21 Tage „bezahlten Urlaub“ habe und bei längerer Ortsabwesenheit die weiteren Tage nicht bezahlt würden. Der Kläger habe erklärt, dass er dies verstanden habe. Man habe ihn weiterhin drauf hingewiesen, dass er, bevor er am 26.05.2018 „in die Ortsabwesenheit“ gehe, in der „EZ“ vorsprechen müsse. Eine Genehmigung sei heute noch nicht möglich, „da über eine Woche davor“. Der Kläger habe ferner berichtet, er habe den Sprachkurs Deutsch Niveau B1 nicht bestanden und wolle eventuell ab 01.06.2018 an einem Wiederholungskurs teilnehmen. Eventuell ziehe er aber auch nach Schleswig-Holstein um.
Mit Bescheid vom 29.05.2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum von Juli 2018 bis Dezember 2018 i.H.v. monatlich 668,70 €.
Der Kläger erschien zum Termin bei der für ihn zuständigen Arbeitsvermittlerin am 18.06.2018 nicht. Im Telefongespräch mit der Mitarbeiterin des Beklagten vom selben Tag erklärte er, dass er sich seit dem 26.05.2018 in Schleswig-Holstein aufhalte und zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen könne, wann er wieder zurückkommen werde. Er gab an, die Ortsabwesenheit sei genehmigt gewesen.
Der Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 21.06.2018 die Zahlung der bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vorläufig wegen unerlaubten Ortsabwesenheit ganz ein. Der Kläger sprach erstmalig wieder am 16.07.2018 beim Beklagten persönlich vor und teilte mit, dass er sich bis 15.07.2018 in Schleswig-Holstein aufgehalten habe.
Auf die Anhörung des Beklagten wegen einer beabsichtigten Aufhebung des Arbeitslosengeldes II ab 18.05.2018 bis einschließlich 30.06.2018 und Erstattung des überzahlten Betrags hin teilte der Kläger mit, er sei zu seiner Freundin nach S. gefahren, weil diese am 28.05.2018 das gemeinsame Kind entbunden habe. Danach hätten sehr viele Termine beim Jugendamt, beim Kinderarzt, etc. stattgefunden. Er sei vor seiner Abreise beim Beklagten gewesen, wo ihm gesagt worden sei, 2 bis 3 Wochen seien kein Problem. Er legte eine Urkunde des Landratsamts S. über die Anerkennung der Vaterschaft des am 28.05.2018 geborenen Kindes A. vor.
Mit Bescheid vom 31.08.2018 hob der Beklagte gegenüber dem Kläger die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für Mai 2018 teilweise i.H.v. 289,77 € und für Juni ganz auf und forderte den Kl...