Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wechsel des Hausarztes. besondere Maßstäbe bei gemeinsamer Praxisorganisation. Unrichtigkeit der Abrechnungs-Sammelerklärung. Schätzung des Honorars durch Kassenärztliche Vereinigung
Leitsatz (amtlich)
1. Hausärzte, die ihre Gemeinschaftspraxis in eine Praxisgemeinschaft umwandeln, handeln rechtsmissbräuchlich, wenn sie es darauf anlegen, eine möglichst hohe Zahl an Doppelhandlungen bei beiden Ärzten im selben Quartal zu erreichen.
2. Bei diesem Verhalten ist die eingereichte Abrechnungssammelerklärung unrichtig mit der Folge, dass die KÄV das zustehende Honorar schätzen kann.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat der Beklagten auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Streitig sind die Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale 1/96 bis 4/98.
Der Kläger ist als Allgemeinarzt in R niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er führte vom 1. Februar 1993 bis 31. Dezember 1995 mit dem Allgemeinarzt Dr. U. eine Gemeinschaftspraxis. Seit 1. Januar 1996 sind beide in einer Praxisgemeinschaft tätig.
Im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen nahm der Prüfungsausschuss für die Quartale 1/96 bis 2/97 beim Kläger Streichungen der Ordinationsgebühr (Gebührennummer ≪GNR≫ 1 EBM) in den Fällen vor, in denen auch Dr. U. die GNR 1 EBM abgerechnet und die Patienten den Abrechnungsscheinen zufolge überwiegend behandelt hatte.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Der damit befasste Beschwerdeausschuss setzte mit Beschluss vom 22. Juli 1999 hinsichtlich dieser Fälle das Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren aus, um der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung Gelegenheit zur Prüfung und Entscheidung über eine sachlich-rechnerischen Berichtigung zu geben. Den gleichen Beschluss fasste der Prüfungsausschuss in den bei ihm anhängigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen betreffend die Quartale 3/97 bis 4/98 (Beschlüsse vom 4. August 1999 und 14. Oktober 1999).
Mit Bescheid vom 8. November 1999 strich daraufhin die Beklagte im Rahmen einer sachlich-rechnerische Berichtigung die GNR 1 EBM in den Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale 1/96 bis 2/97 zwischen 256 mal und 330 mal pro Quartal.
Im Einzelnen:
im Quartal 1/96 322-mal = 101.710 Punkte
im Quartal 2/96 310-mal = 100.630 Punkte
im Quartal 3/96 330-mal = 106.980 Punkte
im Quartal 4/96 327-mal = 108.075 Punkte
im Quartal 1/97 300-mal = 96.930 Punkte
im Quartal 2/97 256-mal = 83.380 Punkte, insgesamt also 597.705 Punkte
An der Nr. 2 EBM erfolgte keine Streichung. Bezüglich der Quartale 3/97 bis 4/98 wurde hinsichtlich der GNR 1 EBM keine Berichtigung durchgeführt, da die zu erwartenden Kürzungsbeträge niedriger liegen würden als die Überschreitungspunktzahl des Praxisbudgets, worunter die GNR 1 EBM einzuordnen sei. Des Weiteren strich die Beklagte in den Quartalen 1/96 bis 4/98 die (nicht budgetierte) Hausarztpauschale pauschal in Höhe von 30% pro Quartal (Kürzungsbetrag insoweit 25.835,22 DM).
Zur Begründung führte sie aus, die Überprüfung der Quartalsabrechnungen 1/96 bis 4/98 habe ergeben, dass durchschnittlich 58% der Patienten des Klägers in beiden Praxen überwiegend mit "Originalschein" primär hausärztlich behandelt worden seien. Offensichtlich sei die Praxisgemeinschaft wie früher die Gemeinschaftspraxis weiter geführt worden. In den Doppelfällen seien damit in nicht gerechtfertigter Weise die doppelte Abrechnung der Ordinationsgebühr und der hausärztlichen Grundpauschalen sowie Vorteile bei der Budgetberechnung und bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung erreicht worden. Das Verhalten der beiden Ärzte stelle einen Verstoß gegen § 76 Abs. 3 i. V. m. § 73 SGB V (Hausarztsystem) dar. Der Kläger und Dr. U. hätten ihre Patienten weder dazu angewiesen, im Rahmen der Praxisgemeinschaft einen Arzt auszuwählen, noch hätten sie über die Hintergründe einer solchen Wahlentscheidung und deren Konsequenzen informiert. Hierzu hätte auch die Information gehört, dass der Hausarzt innerhalb eines Quartals nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gewechselt werden könne. Diesen Verpflichtungen seien der Kläger und Dr. U. nicht nachgekommen (u. a. mit Hinweis auf Urteil des erkennenden Senats vom 12. Mai 1999 - L 5 KA 490/99 -). Danach sei dieses Verhalten als pflichtwidrig zu werten und berechtige zu einer entsprechenden sachlich-rechnerischen Berichtigung. Weiter führte die Beklagte aus, nach dem zitierten Urteil des erkennenden Senates brauche sie nicht in jedem Einzelfall die Unrichtigkeit der Abrechnung nachzuweisen. Die von der Beklagten im Einzelnen dargestellten konkreten Fälle einer Doppelabrechnung seien damit als Nachweis einer grobfahrlässig falschen Doppelabrechnung zu sehen, was zum Wegfall der Richtigkeit der Abrechnungssammelerklärung und damit zur Rechtswidrigkeit des auf ihr beruhenden Honorarbesch...