Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Anwendung des § 44 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
§ 44 SGB 10 ist auch im Rahmen des SGB 2 anwendbar, da § 40 Abs 1 S 1 SGB 2 die Geltung des SGB 10 bestimmt (vgl § 1 S 2 SGB 10) und § 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2, der § 330 Abs 1 SGB 3 für entsprechend anwendbar erklärt, die Regelung des § 44 SGB 10 lediglich für die dort genannten Fälle modifiziert (vgl LSG Stuttgart vom 28.6.2006 - L 13 AS 2297/06 ER-B -, sowie BSG vom 26.8.2008 - B 8 SO 26/07 R).
Orientierungssatz
Die Einschränkung des § 330 Abs 1 SGB 2, dass ein unanfechtbarer Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zeit nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen ist, gilt dann nicht, wenn der Antrag im Zugunstenverfahren - wie hier - vor diesem Zeitpunkt gestellt worden ist (BSG vom 8.2.2007 - B 7a AL 2/06 R = SozR 4-4300 § 330 Nr 4).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. November 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet den Klägerinnen ihre außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren.
Tatbestand
Die Klägerinnen begehren im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Form der Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit von Juli bis Dezember 2005.
Die 1967 geborene ledige Klägerin zu 1 lebt zusammen mit ihrer 2000 geborenen Tochter, der Klägerin zu 2 seit dem 1. Februar 2003 in einer Zwei-Zimmerwohnung zur Miete. Die Warmwasseraufbereitung erfolgt zentral über die Heizanlage (Gas), wobei der Verbrauch nicht gesondert gemessen wird. Ausweislich einer Mietbescheinigung vom 17. September 2004 hatten sie für die Wohnung eine Grundmiete in Höhe von 275,45 € zuzüglich Neben- und Heizkosten in Höhe von 111,39 € und damit insgesamt 386,84 € monatlich zu zahlen.
Die Klägerinnen beziehen seit dem 1. Januar 2005 von der Beklagten Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II. Die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw. das Sozialgeld wird ihnen von der Bundesagentur für Arbeit, AA H. gewährt. Mit Bescheid vom 28. Juni 2005 bewilligte diese für die Zeit von Juli bis Dezember 2005 monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 348,53 €. Die Beklagte bewilligte den Klägerinnen für die Zeit von Juli bis Dezember 2005 mit Bescheid vom 26. Juli 2005 Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 275,45 € je Monat. Sie legte dabei eine angemessene Kaltmiete in Höhe von 317,84 € sowie Heizkosten in Höhe von 69 € und damit insgesamt 386,84 € monatlich zu Grunde. Hiervon zog sie 13,00 € monatlich als Kosten der Warmwasserbereitung ab. Bedarfsmindernd berücksichtigte die Beklagte zudem ein monatliches Einkommen in Höhe von 98,02 €.
Am 31. Mai 2006 beantragte die Klägerin zu 1 die Überprüfung des Bescheides vom 26. Juli 2005 nach § 44 SGB X. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 26. Juli 2006 mit der Begründung ab, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei es mit dem Grundsatz des Sozialhilferechts nicht vereinbar, bestandskräftige Bescheide rückwirkend für die Vergangenheit nach § 44 SGB X zurückzunehmen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2007 zurückgewiesen.
Die Klägerinnen haben am 25. April 2007 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, dass ihnen für den streitgegenständlichen Zeitraum höhere als die bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung zustünden. Der bestandskräftige Bescheid, der über diesbezügliche Leistungen entschieden habe, sei nach § 44 SGB X zurückzunehmen. Die Rechtsprechung, auf welche sich die Beklagte stütze, beziehe sich lediglich auf Fälle nach dem Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫, nicht jedoch auf Fälle nach dem SGB II. § 44 SGB X finde im Rahmen des SGB II Anwendung. Dies begründe sich insbesondere durch den unmissverständlichen Verweis des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Mit Urteil vom 6. November 2007 hat das Sozialgericht Heilbronn die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Juli 2006 und des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 sowie unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 26. Juli 2005 dem Grunde nach verurteilt, den Klägerinnen höheres Arbeitslosengeld II (Alg II) in Form von Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Gesamtzusammenhang ergebe sich für die Klägerinnen im streitgegenständlichen Zeitraum jeweils ein höherer Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewand...