Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Prozesskostenhilfebeschluss. bewusste Nichtentscheidung über einen Antrag. Beschwerde. keine Entscheidungsergänzung. Prozesskostenhilfeantrag einer Bedarfsgemeinschaft mit minderjährigen Kindern. Bewilligungsreife. Erledigung des Rechtsstreits vor Bewilligungsreife. keine rückwirkende Prozesskostenhilfebewilligung
Leitsatz (amtlich)
1. Antragsteller, über deren Antrag in einem PKH-Beschluss bewusst nicht entschieden worden ist, können gegen diese subjektive Beschwer im Rahmen der Beschwerde vorgehen.
2. Das bewusste Ausklammern eines Teils des Streitgegenstandes wird von der Regelung über die Möglichkeit der Ergänzung der Entscheidung nach § 140 Abs 1 S 1 SGG nicht erfasst (Anschluss an BSG vom 2.4.2014 - B 3 KR 3/14 B = SozR 4-1500 § 140 Nr 2 = juris RdNr 8).
3. Beantragt eine Bedarfsgemeinschaft mit minderjährigen Kindern PKH, liegt Bewilligungsreife erst dann vor, wenn jeweils eine auf die minderjährigen Antragsteller lautende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt worden ist (Anschluss an BSG vom 18.11.2021 - B 1 KR 67/21 B = juris RdNr 3).
4. Eine rückwirkende Bewilligung von PKH kommt nicht in Betracht, wenn sich der Rechtsstreit vor Bewilligungsreife des PKH-Antrags erledigt.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.04.2022 wird verworfen.
Die Beschwerden der Antragsteller zu 2 bis 8 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.04.2022 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
1. Die nach § 173 Satz 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin zu 1 ist mangels Beschwer unzulässig, da ihr mit dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Karlsruhe vom 01.04.2022 antragsgemäß Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung für das Verfahren S 17 AS 695/22 ER bewilligt worden ist, so dass kein Rechtschutzbedürfnis vorliegt.
2. Die nach § 173 Satz 1 SGG form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden ihrer Kinder, der Antragsteller zu 2 bis 8 (im Folgenden: Antragsteller), sind zulässig, aber unbegründet.
a. Die Einbeziehung der Antragsteller ist zwar erst im Erörterungstermin am 04.04.2022 förmlich angezeigt worden, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie der Antrag auf PKH sind unter Gesamtwürdigung des Verfahrensgangs allerdings von Anfang an für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gestellt worden.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann das einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nicht mit einer eigenen Klage die Ansprüche aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, juris Rn. 11-15). Es handelt sich bei den Ansprüchen der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II um Individualansprüche, die jeweils gesondert und einzeln von dem rechtlich Betroffenen gerichtlich geltend zu machen sind (Föllmer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 92 SGG, Stand: 15.06.2022, Rn. 21). Die ausnahmsweise Heranziehung des Meistbegünstigungsprinzips für die Antwort auf die Frage, wer Kläger im Rahmen von Bedarfsgemeinschaften ist, war zwar auf die Zeit bis zum 30.06.2007 befristet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, juris Rn. 11; Urteil vom 30.01.2019 - B 14 AS 12/18 R, juris Rn. 12), jedoch ist auch nach Ablauf dieser Übergangszeit zur Bestimmung des Inhalts einer Klageschrift nicht allein von ihrem Wortlaut und den in ihr enthaltenen Anträgen auszugehen. Vielmehr ist der hinter diesem Wortlaut liegende wahre Wille des Klägers zu erforschen, wofür das gesamte klägerische Vorbringen und alle Umstände des Einzelfalls - ggf. schon das Verwaltungsverfahren - zu berücksichtigen sind und davon auszugehen ist, dass der Kläger eine möglichst weitgehende Verwirklichung seines Begehrens anstrebt (§ 123 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R, juris Rn. 29; Urteil vom 30.01.2019 - B 14 AS 12/18 R, juris Rn. 11; Urteil vom 08.05.2019 - B 14 AS 15/18 R, juris Rn. 11).
In Anwendung dieser Maßstäbe lässt sich dem Schreiben vom 14.03.2022 der - zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht anwaltlich vertretenen - Antragstellerin zu 1 entnehmen, dass es ihr von Anfang an um die Heizkosten für die gesamte Bedarfsgemeinschaft ging. So verweist sie auf den 9-Personenhaushalt und schreibt u.a. „Wir müssen mit Brennholz heizen […]“, „Uns verweigert die ARGE […]“ bzw. „[…] Diskriminierung meiner Familie […]“ und „Verstoß gegen Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (VN-Kinderrechtskonvention) […]“. Der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz sollte nach dem Willen der Antragstellerin zu 1 daher von vornherein jedenfalls auch für ihre Kinder gelten. Ebenso verhält es sich mit dem PKH-Antrag, der bereits mit Schreiben vom 14.03.2022 gestellt worden ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin zu 1 in ihrem späteren Schreib...