Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Nachleistungsbegrenzung des § 44 Abs 4 SGB 10. keine Dispositionsbefugnis
Leitsatz (amtlich)
§ 44 Abs 4 SGB X beinhaltet eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, die als zwingendes Recht von Amts wegen zu beachten ist und nicht zur Disposition der Beteiligten steht (Anschluss an BSG vom 26.5.1987 - 4a RJ 49/86 = BSGE 62, 10 = SozR 2200 § 1254 Nr 7 = juris RdNr 18 sowie vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 = BSGE 60, 158 = SozR 1300 § 44 Nr 23 = juris RdNr 16).
Orientierungssatz
Zum Leitsatz vgl LSG München vom 31.1.2018 - L 6 R 490/17 = juris RdNr 14, vom 30.3.2016 - L 6 R 1/15 = juris RdNr 17, vom 13.11.2013 - L 16 AS 270/13 = juris RdNr 32 sowie LSG Darmstadt vom 23.8.2013 - L 5 R 359/12 = juris RdNr 53 und LSG Schleswig vom 20.6.2002 - L 5 U 102/01 = juris RdNr 31.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit über den 30. Juni 2000 hinaus nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) streitig.
Die 1960 geborene Klägerin zog 1964 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland zu. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten und war ab April 1988 als Schreibkraft beim Landkreis E., zuletzt in Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden, beschäftigt. Seit Juni 1995 war sie arbeitsunfähig bzw. arbeitslos.
Am 9. April 1997 beantragte die Klägerin bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der Rechtsvorgängerin der Beklagten (zukünftig einheitlich Beklagte), eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit wegen einer im Juni 1995 aufgetretenen psychosomatischen Erkrankung. Nachdem der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. in seinem Gutachten vom 2. Juni 1997 - unter Berücksichtigung der Diagnosen angstneurotische Entwicklung, neurasthenische Persönlichkeitsstruktur, Asthma bronchiale - zu der Einschätzung gelangt war, dass die Klägerin leichte Bürotätigkeiten als Verwaltungsangestellte im Landratsamt halb- bis unter vollschichtig verrichten könne, lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 3. September 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. November 1997 ab. Die Klägerin sei noch in der Lage, in dem ihrem Leistungsvermögen entsprechenden innegehaltenen bzw. angebotenen Teilzeitarbeitsplatz tätig zu sein. In dem anschließend von der Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart geführten Klageverfahren S 17 RA 5831/97 erkannte die Beklagte einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit aufgrund eines Leistungsfalls vom 9. April 1997 bis voraussichtlich 30. Juni 2000 an, nachdem die Ärztin für Psychiatrie und Naturheilverfahren Dr. S. in ihrem Gutachten vom 11. Mai 1998 eine Panikattacke mit Agoraphobie mit einer ausgeprägten phobischen Einengung beschrieben, eine konsequente Fortsetzung der begonnenen ambulanten Psychotherapie empfohlen und zum damaligen Zeitpunkt keine ausreichende Belastbarkeit für eine regelmäßige Berufsausübung gesehen hatte sowie die Beratungsärztin der Beklagten, Nervenärztin Dr. S., in ihrer nervenärztlichen Stellungnahme vom 16. Juni 1998 eine Zeitberentung für gerechtfertigt gehalten hatte. Die Beklagte bewilligte der Klägerin für die Zeit vom 1. November 1997 bis zum 30. Juni 2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 19. Februar 1999).
Am 4. April 2000 beantragte die Klägerin die Fortzahlung der bis zum 30. Juni 2000 bewilligten Rente. Auf Anfrage der Beklagten nahm die behandelnde Ärztin für Psychotherapie Dr. Sc unter dem 13. Juni 2000 dahingehend Stellung, dass sie eine Depression sowie Phobien diagnostiziert habe, der Zustand der Klägerin insgesamt stabiler sei, aber in emotional belastenden Situationen sehr schnell depressive Beschwerden mit Rückzugstendenzen sowie Neigung zu phobischen Beschwerden auftreten könnten. Es sei zu einer Befundbesserung und Stabilisierung gekommen. Die Beklagte veranlasste eine nervenärztliche Begutachtung. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapeutische Medizin Dr. W. gelangte in seinem Gutachten vom 6. Juli 2000 - unter Berücksichtigung der Diagnosen Angststörung und Panik bei Attacken von Dyspnoe - zu der Einschätzung, dass die Klägerin ihre letzte berufliche Tätigkeit als Verwaltungsangestellte vollschichtig verrichten könne. Insgesamt habe sich das Beschwerdebild gebessert. Die Erkrankung sei medikamentös und verhaltenstherapeutisch angehbar. Eine wesentliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit bestehe nicht. Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid v...