Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Wiederaufnahme des Verfahrens. Restitutionsklage. Begriff der Urkunde iS des § 580 Nr 7 Buchst b ZPO. medizinisches Gutachten
Leitsatz (amtlich)
Gutachten sind jedenfalls dann keine Urkunden iS des § 580 Nr 7 Buchst b ZPO, wenn es nachträglich noch der Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen bedarf. Es geht nicht an, auf diese Weise den im Restitutionsverfahren nicht zugelassenen Zeugen- und Sachverständigenbeweis zu ersetzen.
Orientierungssatz
1. Urkunden iS des § 580 Nr 7 Buchst b ZPO müssen grundsätzlich bereits in dem Zeitpunkt errichtet sein, in dem sie die Partei im Vorprozess noch hätte benutzen können.
2. Zur ausnahmsweisen Ausdehnung der Restitutionsklage auf nachträglich errichtete Urkunden.
Tenor
Die gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21.07.2006 gerichtete Wiederaufnahmeklage des Beklagten wird abgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Wiederaufnahmeverfahren.
Tatbestand
Der Beklagte begehrt die Wiederaufnahme des mit Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 21.07.2006 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, in dem zwischen den Beteiligten ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung wegen eines Impfschadens streitig war.
Die Klägerin kam am 12.09.1992 als drittes Kind gesunder Eltern im Kreiskrankenhaus D. zur Welt. Die Schwangerschaft der Mutter verlief normal. In der 10. bis 12. Schwangerschaftswoche traten leichte Blutungen auf und die Mutter war aufgefordert worden, zwei Tage zu liegen. Ansonsten war der Schwangerschaftsverlauf unauffällig. Die 1984 und 1988 geborenen Brüder der Klägerin sind gesund. Einer der Brüder hat nach Angaben der Mutter einmal einen Fieberkrampf erlitten. Ansonsten sind in der Familie keine Epilepsien oder Fieberkrämpfe bekannt. Die Geburt der Klägerin war eine Spontangeburt und verlief ohne Komplikationen. Die ersten Untersuchungen nach der Geburt (U1, U2, U3 und U4) ergaben keine Auffälligkeiten.
Am 18.12.1992 wurde die Klägerin gegen Diphterie (akute, manchmal lebensbedrohliche Infektion, die in den meisten Fällen die oberen Atemwege befällt), Tetanus (Wundstarrkrampf), Pertussis (Keuchhusten), Poliomyelitis (Kinderlähmung) und HiB (Haemophilus influenzae Typ b, ein Bakterium, das bei Kindern lebensgefährliche entzündliche Erkrankungen im Hals-Nasen-Ohren-BeR. hervorrufen kann) geimpft. Die Impfung wurde zum damaligen Zeitpunkt öffentlich empfohlen. Nach der Impfung schlief das Kind circa zehn Stunden sehr tief und musste zum Stillen geweckt werden. Am 20.12.1992 bekam die Klägerin Durchfall und mit circa 38,5 Grad leichtes Fieber. Die telefonische Anfrage der Eltern beim Kinderarzt, ob der Durchfall mit dem Impfen im Zusammenhang stehe, wurde von diesem verneint.
Am 25.12.1992 stellten die Eltern dann bei der Klägerin erstmals ein rhythmisches Zucken an Armen und Beinen fest. Das Kind verkrampfte die Hände und bekam einen starren Blick. Der ganze Vorfall dauerte circa eine Minute. Da das Kind anschließend wieder ganz normal war und den Eltern zu diesem Zeitpunkt nichts über Krampfanfälle bekannt war und es außerdem der erste Weihnachtsfeiertag war, suchten die Eltern keinen Arzt auf.
Am Abend des 17.01.1993 erlitt die Klägerin zu Hause in Pf. bei V. einen zweiten Krampfanfall. Die Eltern verständigten daraufhin die Nachbarn, damit diese die Brüder der Klägerin beaufsichtigten, und fuhren die Klägerin mit dem eigenen Auto bei winterlichen Straßenverhältnissen in das Klinikum der Stadt V.-Sch.. Bis zur ersten ärztlichen Untersuchung vergingen circa 40 Minuten. Danach dauerte der Krampfanfall immer noch circa 7 Minuten. Nach Gabe von 5 mg Diazepam und Chloralhydrat rectal sowie 20 mg Luminal hörte der Krampf auf. Die Liquorpunktion ergab keine Infektion. Die Suche nach angeborenen Stoffwechselkrankheiten sowie während der Geburt aufgetretenen Infektionen zeigte keinen positiven Befund. Das EEG zeigte lediglich eine medikamentös bedingte Beta-Aktivität, war aber ansonsten völlig unauffällig. Eine Untersuchung auf Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nach Poliomyelitisimpfung wurde nicht durchgeführt.
Bereits am 27.01.1993 kam es bei der Klägerin zu einem dritten Krampfanfall. Die Behandlung erfolgte in der Kinderklinik des Klinikums K.. Das dort angefertigte EEG ergab keine eindeutigen Hinweise auf eine erhöhte Anfallsbereitschaft und keine sichere hypersynchrone Aktivität (HSA).
Am 20.03.1996 stellten die Eltern der Klägerin einen Antrag auf Versorgung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG). Mit dem Einverständnis der Eltern der Klägerin zog das Versorgungsamt (VA) die Berichte des Klinikums der Stadt V.-Sch. vom 29.01.1993 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 17.01.1993 bis zum 21.01.1993, des Klinikums K. vom 15.02.1993 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 27.01.1993 bis zum 29.01.93, der Klinik für Kinderneurologie und Sozialpädiatrie - Kinderzentrum M. GmbH vom 11.03.1993 und vom 11.01.1996, des Arzt...