Entscheidungsstichwort (Thema)
Impfschadensrecht. Impfschaden. haftungsbegründende Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. Wahrscheinlichkeit. Nachweis. Abweichung von den AHP-Grundsätzen: kein Nachweis von Impfviren und einer Antikörperbildung. Impfung gegen Kinderlähmung. hirnorganisches Anfallleiden
Orientierungssatz
Zur Anerkennung eines hirnorganischen Anfallleidens (hier: therapieresistenter Epilepsie mit generalisiert-klinischen Anfällen, einer ausgeprägten Störung der körperlichen Koordinationsfähigkeiten und der auditiven Merkfähigkeit) als Folge einer Impfung gegen Poliomyelitis ohne Vorliegen der typischen Krankheitssymptome (Fieberkrämpfe oder akute Enzephalopathie) und unter Abweichung der in den AHP niedergelegten Grundsätze (Nachweis von Impfviren bzw einer Antikörperbildung).
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin wegen eines Impfschadens Anspruch auf Versorgung hat.
Die Klägerin kam ... 1992 als drittes Kind gesunder Eltern im Kreiskrankenhaus D zur Welt. Die Schwangerschaft der Mutter verlief normal. In der 10. bis 12. Schwangerschaftswoche traten leichte Blutungen auf und die Mutter war aufgefordert worden, zwei Tage zu liegen. Ansonsten war der Schwangerschaftsverlauf unauffällig. Die 1984 und 1988 geborenen Brüder der Klägerin sind gesund. Einer der Brüder hat nach Angaben der Mutter einmal einen Fieberkrampf erlitten. Ansonsten sind in der Familie keine Epilepsien oder Fieberkrämpfe bekannt. Die Geburt der Klägerin war eine Spontangeburt und verlief ohne Komplikationen. Die ersten Untersuchungen nach der Geburt (U1, U2, U3 und U4) ergaben keine Auffälligkeiten.
Am 18.12.1992 wurde die Klägerin gegen Diphtherie (akute, manchmal lebensbedrohliche Infektion, die in den meisten Fällen die oberen Atemwege befällt), Tetanus (Wundstarrkrampf), Pertussis (Keuchhusten), Poliomyelitis (Kinderlähmung) und HiB (Haemophilus influenzae Typ b, ein Bakterium, das bei Kindern lebensgefährliche entzündliche Erkrankungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich hervorrufen kann) geimpft. Die Impfung wurde zum damaligen Zeitpunkt öffentlich empfohlen. Nach der Impfung schlief das Kind ca. zehn Stunden sehr tief und musste zum Stillen geweckt werden. Am 20.12.1992 bekam die Klägerin Durchfall und leichtes Fieber (ca. 38,5°). Die telefonische Anfrage der Eltern beim Kinderarzt, ob der Durchfall mit dem Impfen im Zusammenhang stehe, wurde von diesem verneint.
Am 25.12.1992 stellten die Eltern dann bei der Klägerin erstmals ein rhythmisches Zucken an Armen und Beinen fest. Das Kind verkrampfte die Hände und bekam einen starren Blick. Der ganze Vorfall dauerte ca. eine Minute. Da das Kind anschließend wieder ganz normal war und den Eltern zu diesem Zeitpunkt nichts über Krampanfälle bekannt war und es außerdem der 1. Weihnachtsfeiertag war, suchten die Eltern keinen Arzt auf.
Am Abend des 17.01.1993 erlitt die Klägerin zuhause in P bei V einen zweiten Krampfanfall. Die Eltern verständigten daraufhin die Nachbarn, damit diese die Brüder der Klägerin beaufsichtigten, und fuhren die Klägerin mit dem eigenen Auto bei winterlichen Straßenverhältnissen in das Klinikum der Stadt V-S. Bis zur ersten ärztlichen Untersuchung vergingen ca. 40 Minuten. Danach dauerte der Krampfanfall immer noch ca. 7 Minuten. Nach Gabe von 5mg Diazepam und Chloralhydrat rectal sowie 20mg Luminal hörte der Krampf auf. Die Liquorpunktion ergab keine Infektion. Die Suche nach angeborenen Stoffwechselkrankheiten sowie während der Geburt aufgetretene Infektionen zeigten keinen positiven Befund. Das EEG zeigte lediglich eine medikamentös bedingte Beta-Aktivität, war aber ansonsten völlig unauffällig. Eine Untersuchung auf Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nach Poliomyelitisimpfung wurde nicht durchgeführt.
Bereits am 27.01.2006 kam es bei der Klägerin zu einem dritten Krampfanfall. Die Behandlung erfolgte in der Kinderklinik des Klinikums K. Das dort angefertigte EEG ergab keine eindeutigen Hinweise auf eine erhöhte Anfallsbereitschaft und keine sichere hypersynchrone Aktivität (HSA).
Am 20.03.1996 stellten die Eltern der Klägerin einen Antrag auf Versorgung nach dem BSeuchG. Mit dem Einverständnis der Eltern der Klägerin zog das Versorgungsamt K (VA) Behandlungsunterlagen bei (Bericht des Klinikums der Stadt V-S vom 29.01.1993 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 17.01. bis 21.01.1993; Bericht des Klinikums K vom 15.02.1993 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 27.01. bis 29.01.93; Berichte der Klinik für Kinderneurologie und Sozialpädiatrie - Kinderzentrum M GmbH vom 11.03.93 und vom 11.01.96; Bericht der Ärzte für Radiologie Dr. F, K vom 17.09.96; Arztbrief des Kreiskrankenhauses D vom 21.09.92 über die Entbindung).
Anschließend beauftragte das VA Prof. Dr. R von der Abteilung für Pädiatrische Neurologie der Kinderklinik der Universität H mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser gelangte in seinem neuropädiatrischen Gutachten vom 24.02.1998 nach Untersuchung der Klägerin am 09.01.1998 zu dem Erge...