Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. neue Behandlungsmethode. Nutzen noch nicht hinreichend belegt, aber Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative. Krankenhausbehandlung nach § 137c Abs 1 S 2 SGB V idF vom 22.12.2011 nicht von vornherein ausgeschlossen. hier: Lungenvolumenreduktion mittels Implantation von Coils bei COPD Grad IV im Juli 2013

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus § 137c Abs 1 S 2 SGB V idF vom 22.12.2011 (BGBl I 2983) folgt, dass Behandlungsmethoden, deren Nutzen noch nicht hinreichend belegt ist, die aber das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten, nicht von vornherein im Rahmen einer Krankenhausbehandlung ausgeschlossen sind (Abweichung von BSG vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R = SozR 4-5562 § 6 Nr 1).

2. Eine Lungenvolumenreduktion mittels Implantation von Coils bei Versicherten, die an einer COPD Grad IV leiden, hatte im Juli 2013 das Potenzial einer Behandlungsalternative (entgegen LSG Stuttgart vom 23.11.2016 - L 5 KR 1101/16).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.10.2019; Aktenzeichen B 1 KR 2/19 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14.11.2017 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 17.702,40 € nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.03.2014 zu zahlen.

Die Klägerin trägt 1/5, die Beklagte 4/5 der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 22.073,64 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung iHv noch 17.702,40 €.

Die Klägerin ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses. Der 1944 geborene B. H. (im Folgenden: Versicherter) war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er litt an COPD Grad IV nach GOLD (Global Strategy for the Diagnosis, Management and Prevention of Chronic Obstructive Pulmonary Disease) vom Lungenemphysemtyp und chronischer Herzinsuffizienz. Im März 2013 erfolgte bei ihm eine Lungenvolumenreduktion mittels Implantation von Coils (LVRC). Dabei handelt es sich um Spiralen aus Nitinol, die in gestrecktem Zustand in die mit Luft gefüllten Bronchien eingesetzt werden. Wenn sie anschließend wieder ihre Spiralform annehmen, zieht sich auch das umgebende Lungengewebe zusammen. Die hier streitige Behandlung erfolgte in der Zeit vom 09. bis 15.07.2013 zur LVRC im linken Unterlappen.

Für die Behandlung rechnete die Klägerin einen Gesamtbetrag iHv 22.073,64 € ab (Rechnung vom 17.07.2013). Hierbei wurde die DRG E05A (andere große Eingriffe am Thorax mit äußerst schweren CC) iHv 12.250,08 € sowie das Zusatzentgelt 76197519 iHv 9.800 € für das Einlegen von 10 endobronchialen Nitinolspiralen angesetzt. Den Rechnungsbetrag (22.143,64 € abzüglich 70 € Zuzahlung des Versicherten) beglich die Beklagte zunächst vollständig.

Nach Einleitung eines Prüfverfahrens gelangte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit Gutachten vom 30.12.2013 (Dr. M.) zu dem Ergebnis, dass anstelle der DRG E05A die DRG E05C (andere große Eingriff am Thorax ohne äußerst schwere CC, außer bei bösartigen Neubildungen) abzurechnen gewesen sei. Das abgerechnete Zusatzentgelt wurde nicht beanstandet.

Mit Schreiben vom 08.01.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Abrechnung nicht akzeptiert werde und sich der Rückforderungsbetrag auf 22.143,64 € belaufe. Im Gutachten des MDK betreffend den Aufenthalt des Versicherten im März 2013 sei sehr ausführlich auf die Implantation der Lungencoils eingegangen worden. Außerhalb von kontrollierten Studien sei die experimentelle Anwendung von Lungencoils medizinisch nicht vertretbar. Da der gesamte Aufenthalt ausschließlich zur Implantation der Coils erfolgt sei, werde der gesamte Rechnungsbetrag verrechnet. Am 06.03.2014 verrechnete die Beklagte einen Betrag iHv 22.143,64 €.

Am 16.04.2014 hat die Klägerin zum Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage auf Zahlung dieses Betrags erhoben. Sie macht geltend, der Vergütungsanspruch resultiere aus § 6 Abs 2 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG). Nach dieser Vorschrift sollten die Vertragsparteien für die Vergütung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB), die mit den Fallpauschalen und Zusatzentgelten nach § 7 Satz 1 Nr 1 und 2 KHEntgG noch nicht sachgerecht vergütet werden könnten und die nicht nach § 137c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von der Finanzierung ausgeschlossen worden seien, fallbezogene Entgelte oder Zusatzentgelte vereinbaren. Hierdurch solle eine sachgerechte Finanzierung medizinischen Fortschritts sichergestellt werden. Das von den Selbstverwaltungspartnern beauftragte Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) habe der von der Klägerin zum Einsatz gebrachten Methode den Status 1 zugewiesen (Methoden/Leistungen, welche die Kriterien für eine NUB-Vereinbarung erfüllen). Mit der Beklagten sei für 2013 ein NUB-Entgelt vereinbart worden, auch die Höhe sei unstreitig...

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