Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Verfahren zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit. Sanktionszahlung bei verspäteter Bescheidung eines Antrags auf Pflegeleistungen. Bestimmung der maßgeblichen Frist
Leitsatz (amtlich)
Bei der Sanktionszahlung nach § 18 Abs 3b SGB XI ist für die Einhaltung der gesetzlichen Frist und das Ende des zu entschädigenden Zeitraums nicht die Absendung des Bescheides, sondern dessen Zugang beim Adressaten maßgeblich.
Orientierungssatz
1. Allein die Antragstellung aus einer Rehabilitationsmaßnahme heraus rechtfertigt nach dem gesetzlichen Wortlaut noch nicht die Geltung einer verkürzten Frist und die Annahme einer besonderen Dringlichkeit iSd § 18 Abs 3 S 3 SGB 11. Vielmehr ist letztere ausdrücklich als eigenständiges und zusätzliches Tatbestandsmerkmal normiert worden.
2. Für die Bestimmung der maßgeblichen Frist kommt es nicht auf die Höhe des Pflegegrades an.
3. Nach der in § 142 Abs 2 S 1 SGB 11 geregelten Unbeachtlichkeit bis 31.12.2017 ist die Frist des § 18 Abs 3 S 2 SGB 11 seit 1.1.2018 wieder für alle Anträge der Pflegeversicherung maßgeblich und im Falle der Fristüberschreitung auch die pauschale Zuzahlung nach § 18 Abs 3b SGB 11 wieder zu leisten.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. August 2019 abgeändert und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 15. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2018 verurteilt, der Klägerin weitere 70,00 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Sanktionszahlung nach § 18 Abs. 3b Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) in Höhe von weiteren 1.050,00 €.
Die 1964 geborene, bei der Beklagten sozial pflegeversicherte Klägerin wurde ab Mai 2017 stationär, teils intensivmedizinisch wegen eines Guillain-Barré-Syndroms behandelt. Am 29. Juni 2017 wurde sie vom Krankenhaus in die Rehabilitation der Phase B verlegt.
Mit am selben Tag bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 28. September 2017 übersandte der Sozialdienst der Kliniken S. einen Antrag der Klägerin vom selben Tag auf Kombinationsleistungen der Pflegeversicherung (Sachleistung - ambulanter Pflegedienst - und Pflegegeld). Als private Pflegeperson wurde der Ehemann der Klägerin angegeben. Die im Antragsformular vorgesehene Rubrik „Meine Pflegeperson beabsichtigt Freistellung nach dem Pflegezeitgesetz in Anspruch zu nehmen“ war nicht angekreuzt. Im Begleitschreiben wies die Rehabilitationsklinik darauf hin, dass sich die Klägerin derzeit in stationärer neurologischer Rehabilitation der Phase C befinde und am 11. Oktober 2017 ins häusliche Umfeld entlassen werde. Aufgrund ihrer Erkrankung werde sie weiterhin auf pflegerische Hilfe angewiesen sein, weshalb sie anschließend durch einen ambulanten Pflegedienst und den Ehemann versorgt werde. Mit Schreiben vom 29. September 2017 („Änderung der Pflegeleistung ab 29.09.2017“), Eingang bei der Beklagten am selben Tag, informierte der Sozialdienst der Rehabilitationsklinik die Beklagte darüber, dass die Pflege im häuslichen Umfeld nicht zusätzlich durch einen Pflegedienst erfolgen werde, sondern nur durch den Ehemann. Daher werde um „Änderung der Pflegeleistung von Kombinationsleistungen auf Pflegegeld ab dem 29. September 2017“ gebeten.
Die Klägerin wurde am 11. Oktober 2017 aus der Rehabilitation ins häusliche Umfeld entlassen. Am 12. Oktober 2017 erteilte die Beklagte dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) den Auftrag zur Begutachtung im häuslichen Umfeld (Eingang dort am 13. Oktober 2017). Die Klägerin wurde hierüber unterrichtet. Am 1. Februar 2018 mahnte diese telefonisch bei der Beklagten die Begutachtung an. Auf telefonische Anfrage der Beklagten teilte der MDK mit, da derzeit sehr viele Gutachten zu bearbeiten seien, dauere es ca. drei bis vier Wochen.
Am 21. Februar 2018 erfolgte die Begutachtung im häuslichen Umfeld. Pflegefachkraft I. gelangte in ihrem Gutachten vom 22. Februar 2018 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin befristet für die Zeit vom 21. Februar bis 30. November 2018 die Voraussetzungen des Pflegegrades 1 erfülle (Summe der gewichteten Punkte 20,00). Zuvor sei es seit 17. Mai 2017 zu einer stetigen Verschlechterung des Zustandes gekommen, so dass nachvollziehbar vom damaligen Zeitpunkt an die Voraussetzungen des Pflegegrades 2 vorgelegen hätten.
Mit am selben Tag abgesandten Bescheid vom 5. März 2018 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach Pflegegrad 1 ab 21. Februar 2018 befristet bis zum 30. November 2018. Am 28. Mai 2018 bewilligte sie Leistungen nach Pflegegrad 1 bereits ab 18. September 2017 sowie mit Bewilligungsbescheiden vom 19. Juni 2018 Pflegegeld nach Pflegegrad 2 ab 29. September 2017 befristet bis 28. Februar 2018 (bei Ruhen des Leistungsanspruchs vom 29. September bis 10. Oktober 2017 wegen stationären Aufenthalts) und ab 1. März 2018 wiederum...