Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. unzulässiger Widerspruch. Rücknahme. fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung. Kostenerstattung
Leitsatz (amtlich)
Legt ein Betroffener Widerspruch gegen einen Bescheid ein, der nach § 86 oder § 96 SGG in ein laufendes Verfahren einbezogen ist, aber fehlerhafterweise in seiner Rechtsbehelfsbelehrung auf den Widerspruch verwies, und nimmt der Betroffene den Widerspruch dann zurück, nachdem seine Unzulässigkeit erkannt wurde, so trägt die erlassende Behörde die Kosten des Vorverfahrens. Dies folgt aus einer erweiternden Auslegung des § 63 Abs 1 S 2 SGB 10.
Orientierungssatz
1. Für eine erweiternde Auslegung in diesem Sinne spricht auch das Urteil des BSG vom 18.12.2001 - B 12 KR 42/00 R, in dem eine Kostenerstattungspflicht bejaht wurde, wenn der Widerspruch zwar keinen Erfolg hatte, die Einlegung des unzulässigen Widerspruchs jedoch durch das Verhalten der Behörde verursacht wurde. Dies ist der Fall, wenn die Behörde einen unzulässigen Widerspruch mit einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung provoziert hat. Dies folgt aus dem Veranlasserprinzip, das zu einer Kostentragungspflicht eines Beteiligten führt, auch wenn das Verfahren letztlich zu seinen Gunsten ausgeht.
2. Eine Kostenerstattungspflicht der Behörde ist anerkannt, wenn sie durch eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung in einem Widerspruchsbescheid eine unzulässige Klage provoziert hat. Es ist kein Grund ersichtlich, warum ein Gericht im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 193 SGG, die auch die Kosten des Vorverfahrens umfasst, die Veranlassung von Widerspruch und/oder Klage durch fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrungen der Behörde berücksichtigen kann, die Behörde selbst aber bei einer Entscheidung nach § 63 Abs 1 SGB 10 hierzu nicht ermächtigt sein soll. Dies würde dazu führen, dass der Adressat sich dazu gedrängt fühlen müsste, seinen unzulässigen Widerspruch nicht zurückzunehmen, um sich die Chance einer Kostenerstattung für das Vorverfahren zu erhalten.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. August 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung seiner Kosten für ein durch Rücknahme des Widerspruchs erledigtes Vorverfahren.
Auf Antrag des am 1940 in Rumänien geborenen Klägers erließ die damalige Landesversicherungsanstalt Württemberg, jetzt Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRVBW) den Bescheid vom 25. Februar 1997 über die Feststellung rentenrechtlicher Zeiten nach § 149 Abs. 5 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI). Hierbei berücksichtigte sie die in Rumänien zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten der Jahre 1957 bis 1961 sowie 1964 bis 1973 nur zu 5/6 (§ 22 Abs. 3 des Fremdrentengesetzes - FRG -), weil diese Zeiten nur glaubhaft gemacht seien und setzte für die Jahre, in denen weniger als 365 Normen erreicht wurden, einen Teilzeitfaktor an. Außerdem stellte sie fest, dass “für die nach dem FRG anerkannten Zeiten (…) 60 % der maßgebenden Entgeltpunkte berücksichtigt (Faktor 0,6)„ würden (S. 2 des Bescheids). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. September 1997). Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG, S 8 RJ 2638/97). Das SG ordnete das Ruhen des Verfahrens an.
Die DRVBW bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 18. Oktober 1999 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab dem 01. Mai 1999. Dieser Bescheid enthielt den Hinweis, er werde Gegenstand des ruhenden Klageverfahrens vor dem SG. Mit Bescheid vom 28. April 2000 bewilligte die DRVBW dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01. Juni 2000. Dieser Bescheid enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung Widerspruch. Bei der Berechnung der Rente berücksichtigte die DRVBW in beiden Bescheiden die in Rumänien zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten der Jahre 1957 bis 1961 sowie 1964 bis 1973 nur zu 5/6, teilweise den Teilzeitfaktor und für die nach dem FRG anerkannten Zeiten nur 60 v.H. der maßgebenden Entgeltpunkte.
Der Kläger beantragte bei der DRVBW mit Schreiben vom 28. Juli 2006 die Neufeststellung seiner Altersrente. Dabei ging es ihm sowohl um die volle Berücksichtigung der Zeiten ohne Kürzung der Entgeltpunkte auf 5/6 und ohne Teilzeitfaktor als auch um die Anerkennung höherer Qualifikationsgruppen. Des Weiteren bat er darum, die notwendige Neufeststellungsentscheidung mit einem Vorbehalt in Bezug auf § 22 Abs. 4 FRG zu versehen. Insoweit solle die Bindungswirkung des Bescheids vom 28. April 2000 aufgehoben werden. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13. Juni 2006 (1 BvL 9/00 u. a.) wolle er auf jeden Fall von der Neuregelung profitieren, die der Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2007 erlassen müsse. Die DRVBW wies den Kläger mit Sc...