Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Überleitung des Rechts der ehemaligen DDR. Verletztenrente. pauschaler Jahresarbeitsverdienst. Höhe. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. § 1152 Abs 2 S 1 Nr 1 RVO kann nur dahin ausgelegt werden, dass der Gesetzgeber den Jahresarbeitsverdienst (JAV) für Altfälle aus DDR-Zeiten, die vor dem 1.7.1990 eingetreten waren, pauschal insgesamt auf (damals/anfangs) DM 13.680 festgelegt hat. Die Norm kann nicht so ausgelegt werden, dass sie - etwa aus Gründen sozialer Fürsorge - nur eine Mindesthöhe für an sich niedrigere JAVe (damals noch: Bruttoverdienste) festgelegt hat, aber eventuell vorhandene höhere JAVe fortbestehen lassen wollte.

2. Die Vorschrift des § 1152 Abs 2 S 1 Nr 1 RVO ist verfassungsgemäß.

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Überprüfungswege die Erhöhung der Verletztenrente, die er auf Grund eines Unfalls am 04.12.1984 im Beitrittsgebiet bezieht. In der Sache rügt er vor allem, § 1152 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vom 01.01.1992 bis zum 31.12.1996 geltenden Fassung sei verfassungswidrig (gewesen).

1. In der früheren Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: DDR) war die Entschädigung von Unfällen und Krankheiten als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit in den §§ 217 ff. des Arbeitsgesetzbuches (AGB-DDR) vom 16. Juni 1977 (GBl I S. 185) geregelt. Die Vorschriften entsprachen weithin dem Recht der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: BRD):

Nach § 220 Abs. 1 AGB-DDR war ein Arbeitsunfall die Verletzung eines Werktätigen im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess. Die Verletzung musste durch ein plötzliches, von außen einwirkendes Ereignis hervorgerufen worden sein. Als Arbeitsunfall galt auch ein Unfall auf einem mit der Tätigkeit im Betrieb zusammenhängenden Weg zur und von der Arbeitsstelle (§ 220 Abs. 2 AGB-DDR). Gemäß § 222 AGB-DDR in der ursprünglichen Fassung traf die Entscheidung, ob ein Arbeitsunfall vorlag, die Betriebsgewerkschaftsleitung. Ein solcher Versicherungsfall führte zum einen zu Schadensersatzansprüchen des Werktätigen gegen “den Betrieb„ (§ 219 Abs. 3 i.V.m. §§ 267 ff. AGB-DDR). Zum anderen bestanden nach § 219 Abs. 3 i.V.m. §§ 280 ff. AGB-DDR Ansprüche auf Geld- und Sachleistungen gegen die vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) geleitete Sozialversicherung im Sinne der §§ 274 ff. AGB-DDR. In dieser (Allgemeinen) Sozialversicherung waren gemäß § 278 Abs. 2 AGB-DDR nur Bruttoverdienste bis zu 600,00 M (Mark der DDR) pflichtweise versichert. Daneben bestand für die Beschäftigten, etwaige weitere Lohnbestandteile über 600,00 M hinaus in der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) zu versichern. Für bestimmte Berufsgruppen bestanden weitere Zusatzversorgungssysteme, manche Berufsgruppen waren auch außerhalb der Allgemeinen Sozialversicherung und etwaiger Zusatzversorgungssysteme in mehreren Sonderversorgungssystemen abgesichert.

Hinsichtlich der Renten nach Arbeitsunfällen (“Unfallrenten„) verwies § 290 lit. b AGB-DDR auf “die Rechtsvorschriften„. Die konkreten Regelungen für die Berechnung - auch - solcher Unfallrenten enthielten die §§ 23 ff. der Verordnung des Ministerrats der DDR über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung (RentenVO-DDR) vom 23.11.1979 (GBl. I S. 401 ff. (Nr. 38)). Hiernach bestand ein Anspruch auf Unfallrente, wenn der versicherte Werktätige einen “Körperschaden von mindestens 20 % erlitten„ hatte (§ 23 Abs. 1 RentenVO-DDR). Die “Grundlage der Berechnung der Unfallrente„ war nach § 24 Abs. 1 RentenVO-DDR zum einen “der in den letzten 12 Kalendermonaten vor dem Unfall erzielte beitragspflichtige monatliche Durchschnittsverdienst„ (lit. a) und zum anderen “der im letzten abgeschlossenen Kalenderjahr vor dem Unfall erzielte beitragspflichtige monatliche Durchschnittsverdienst für die Versicherten der Sozialversicherung (…)„ (lit. b). Für versicherte Werktätige mit einem sehr niedrigen Durchschnittsverdienst in den genannten 12 Monaten verwies § 24 Abs. 2 RentenVO-DDR auf den Mindestbruttolohn als Berechnungsgrundlage. Die konkrete Höhe der Rente war in § 25 RentenVO-DDR geregelt: Bei einem Körperschaden von 100 % betrug sie zwei Drittel des beitragspflichtigen monatlichen Durchschnittsverdienstes (Abs. 1), bei einem niedrigeren Körperschaden entsprach sie nach Abs. 2 dem der Höhe des Prozentsatzes des Körperschadens entsprechenden Anteil der gemäß Abs. 1 errechneten Rente. Nach § 25 Abs. 3 RentenVO-DDR wurden ferner “Festbeträge„ als Zuschläge gezahlt, und zwar 80,00 M bei einem Körperschaden von 66 2/3 % oder mehr sowie 20,00 M bei Körperschäden von 50 % bis unter 66 2/3 % (lit b). Weitere Zuschläge für Werktätige mit Ehegatten oder Kindern waren in § 27 RentenVO-DDR geregelt.

Die Leistunge...

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