Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Überweisungsanspruch gem § 136 SGB 7. nachträgliche wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse. elektronische Geräte herstellendes Unternehmen. strukturelle Unternehmensänderung. IT-Dienstleistungen und Software. gewerbliche Büros. Verwaltungs-Berufsgenossenschaft
Leitsatz (amtlich)
Ein elektronische Geräte herstellendes Unternehmen, das seinen Betätigungsbereich auf IT-Dienstleistungen und Software verlagert, ist grundsätzlich erst dann an die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft zu überweisen, wenn es sich um ein "gewerbliches Büro" handelt.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. November 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 2.500.000 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Überweisung ihres Unternehmens von der Beklagten an die Beigeladene.
Die Klägerin gehört der weltweit tätigen, im Jahre 1939 gegründeten US-amerikanischen H.-P. Gruppe (im Folgenden: HP-Gruppe) an. Sie meldete am 6. August 1959 ihr Gewerbe als “Herstellung und Vertrieb von elektrischen und elektronischen Instrumenten jeder Art„ in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) an. Mit Bescheid vom 25. November 1959 nahm die Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik, eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte), die Klägerin mit dem Unternehmensgegenstand “Herstellung elektronischer Messgeräte sowie kaufmännischer und verwaltender Teil„ in ihr Betriebsverzeichnis und damit ihre berufsgenossenschaftliche Zuständigkeit auf.
Mit Eingliederung der C. C. GmbH im November 2002 war als Unternehmensgegenstand der Klägerin bei der Beklagten versichert: die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb von elektronischen Erzeugnissen aller Art, Software und Dienst- und Werkleistungen, insbesondere von Produkten und Lösungen auf dem Gebiet der Informations- und Bildverarbeitung im geschäftlichen und privaten Umfeld, der Erwerb und die Verwertung gewerblicher Schutzrechte sowie die Erbringung von Dienstleistungen für den weltweiten Konzernverbund. Beschäftigt waren über 6.000 Mitarbeitende.
Im Februar 2003 begehrte die Klägerin erstmals “die Überprüfung„ der Zuständigkeit der Beklagten mit der Begründung, sie habe sich seit Ende der 1980er Jahre von einem produzierenden zu einem verwaltenden Unternehmen entwickelt. In den Jahren 1987 bis 1998 sei der gesamte Logistikbereich und ein großer Teil der Produktion an eigenständige Fremdunternehmen ausgelagert oder an andere Niederlassungen der HP-Gruppe ins Ausland verlagert worden. Die Metallfertigung und der Logistikbereich seien 1995 sowie die Leiterplattenbestückung im Folgejahr und die -fertigung wiederum ein Jahr später ausgelagert worden. Im Jahre 1999 sei von ihr mit der Abspaltung der A. T. GmbH die gesamte Produktion der Messtechnik, welche den Großteil der bisherigen verarbeitenden Tätigkeit dargestellt habe, ausgegliedert worden. Seither habe der Schwerpunkt der unternehmerischen Tätigkeit im Marketing, in der Verwaltung und im Vertrieb gelegen. In der Produktion seien noch etwa 1 % ihrer Mitarbeitenden tätig, der Anteil der gewerblichen Mitarbeitenden habe sich auf 0,5 % reduziert. Wegen der geänderten Unternehmensverhältnisse veranlagte sie fortan den Außendienst separat neben den Gefahrtarifstellen “Gewerbe (Herstellung elektronischer Messgeräte)„ und “Büro„.
Im Februar 2004 wurde die T. GmbH, ein Informationstechnik (IT)-Systemhaus, übernommen. Von etwa 7.200 Mitarbeitenden waren nach den Angaben der Klägerin im Jahre 2005 noch 67 im gewerblichen Bereich beschäftigt.
Im April 2005 verfolgte die Klägerin die Überweisung an die Beigeladene, was mit Bescheid vom 12. Mai 2005 abgelehnt wurde. Nachdem die Beklagte erneut bereit war, verschiedene Mitarbeitende einer anderen, für die Klägerin beitragsmäßig günstigeren Gefahrtarifstelle zuzuordnen, nahm diese den hiergegen erhobenen Widerspruch im Herbst 2006 zurück.
Am 19. Mai 2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut, sie an die Beigeladene zu überweisen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Struktur des Unternehmens habe sich seit den Anfängen strategisch wesentlich geändert und dieses sich von einem Produktionsbetrieb zu einem IT-Dienstleister entwickelt. Seien 1970 noch etwa 50 % der Mitarbeitenden in der Produktion tätig gewesen, so sei der letzte produzierende Betrieb ihres Unternehmens im Laufe des Jahres 2010 in die Tschechische Republik verlagert worden. Neben der geänderten Unternehmensstruktur ab Ende der 1980er Jahre, seien bei ihr im Jahre 2009 die deutschen Gesellschaften des IT-Dienstleisters EDS (Electronic Data Systems) integriert worden, welche zuvor bei der Beigeladenen versichert gewesen seien. Das geschäftliche Betätigungsfeld beschränke sich nunmehr auf den Bereich der IT-Dienstleistungen, deren Vertrieb und der hierzu nötigen ...