Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Aufhebung der Arbeitslosenhilfebewilligung. fehlende Rechtsgrundlage für die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1.1.2005. verfassungskonforme Auslegung. Vermögensanrechnung. verdecktes Treuhandkonto. Rückzahlungspflicht Darlehensverträge
Orientierungssatz
1. In Folge der Streichung des Wortes "Arbeitslosenhilfe" in § 335 Abs 1 S 1 SGB 3 in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung besteht keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei der rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe mehr. Die durch die Rechtsänderung entstandene planwidrige Regelungslücke ist keiner erweiternden Auslegung oder analogen Anwendung zugänglich (vgl LSG Stuttgart vom 15.12.2006 - L 12 AL 3427/06).
2. Zur Rechtmäßigkeit der Rückforderung der Arbeitslosenhilfe wegen Vermögensanrechnung trotz behaupteter Treuhandvereinbarung bzw behaupteter Rückzahlungspflicht aufgrund von Darlehensverträgen.
Nachgehend
Tenor
1. |
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Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14.02.2008 einschließlich des Bescheides der Beklagten vom 02.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2006 insoweit abgeändert, dass für den streitgegenständlichen Erstattungszeitraum ein Anspruch der Beklagten auf Erstattung von Beiträgen zur Sozialversicherung nicht besteht. |
2. |
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Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. |
3. |
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Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren und im Sozialgerichtsverfahren zu jeweils einem Viertel zu erstatten. |
4. |
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Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosenhilfe und von Beiträgen zur Sozialversicherung im Streit.
Der ... 1945 geborene Kläger arbeitete von 1971 bis Dezember 1994 bei der Firma N in E, zuletzt als Stichprobenprüfer, und erhielt anlässlich der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.12.1994 eine Abfindung in Höhe von netto 100.956,00 DM. Der Kläger bezog bis zum 14.03.1997 Arbeitslosengeld und beantragte am 18.02.1997 die Gewährung von Anschlussarbeitslosenhilfe. Als Vermögen gab er nur seine Eigentumswohnung sowie ein Sparguthaben über 7.878,80 DM an. Mit Bescheid vom 20.02.1997 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosenhilfe ab dem 15.03.1997.
Auf den Fortzahlungsantrag des Klägers vom 06.10.1997, in welchem keine wesentlichen Änderungen in den Vermögensverhältnissen angegeben wurden, reagierte die Beklagte zunächst mit einer Nachfrage nach dem Verbleib der Abfindung des Klägers. Der Kläger teilte am 08.10.1997 hierzu mit, er habe 50.000 DM für die Schuldenrückzahlung bezüglich der Anzahlung seiner 1990 erworbenen Wohnung an Herrn O T (30.000 DM) und Herrn M E (20.000 DM), beide wohnhaft in der Türkei, je 10.000,00 DM für Familienurlaube 1995 und 1996, 12.000,00 DM für eine gemeinsame Pilgerfahrt mit seiner Ehefrau nach Mekka 1996 und je 5.000,00 DM für die Hochzeiten zweier seiner Kinder und den Rest für die Wohnungsrenovierung verbraucht. Mit Bescheid vom 08.10.1997 bewilligte die Beklagte daraufhin die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe ab dem 01.12.1997.
Der Kläger erhielt in der Folgezeit auf seine weiteren Anträge hin Anschlussarbeitslosenhilfe mit Unterbrechungen bis zum 14.03.2004.
Im September 2005 erfuhr die Beklagte durch eine Mitteilung des Hauptzollamtes Stuttgart erstmalig, dass der Kläger am 24.10.1995 einen Betrag von 50.000,00 DM für eine Laufzeit von drei Jahren bei der türkischen Nationalbank (TCMB) angelegt hatte. Die Beklagte hörte den Kläger hierzu an, woraufhin dieser durch seine Prozessbevollmächtigten am 31.01.2006 mitteilen ließ, dass er nicht Eigentümer oder wirtschaftlicher Berechtigter irgendwelcher Guthaben sei; er versuche derzeit, in der Türkei hierfür Nachweise zu erhalten.
Mit Bescheid vom 02.06.2006 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 15.03.1997 bis zum 22.08.1997 auf und forderte die für diesen Zeitraum gezahlte Arbeitslosenhilfe nebst Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 6.194,2 € vom Kläger zurück, weil dieser aufgrund seines Vermögens nicht hilfebedürftig gewesen sei und die fehlerhafte Bewilligung auf den Falschangaben des Klägers beruht habe.
Seinen Widerspruch begründet der Kläger damit, dass er sich im Jahr 1990 20.000 DM von M E und 30.000 DM von O T geliehen habe. Es sei beabsichtigt gewesen, die Schulden direkt aus der erhaltenen Abfindung zu tilgen. Die beiden Darlehensgeber bzw. deren Erben hätten ihn jedoch dazu überredet, den Betrag auf seinen Namen bei der TCMB anzulegen, um die bei dieser angebotenen besonders hohen Anlagezinsen für in Deutschland lebende Türken auszunutzen. Dabei sei vereinbart worden, dass nach Ende der Laufzeit, sofern eine Verlängerung nicht gewünscht sei, der Anlagebetrag samt Zinsen an die Gläubiger entsprechend ihrem Anteil ausgezahlt werden solle. Im Jahr 1999 sei zunächst...