Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder zur Kranken- und Pflegeversicherung. Überprüfungsverfahren. richtige Klageart ist die mit der Verpflichtungsklage verbundene Anfechtungsklage. kein Anhörungserfordernis nach zunächst vorläufiger Beitragsfestsetzung und anschließender erstmaliger endgültiger Festsetzung. förmliche Aufhebung einer bestandskräftig gewordenen vorläufigen Beitragsfestsetzung nicht notwendig. selbstständige Tätigkeit. Berücksichtigung von Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung und Kapitalvermögen. Abzug von Werbungskosten. keine Berücksichtigung eines Verlustvortrags bei Arbeitseinkommen
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Bescheid angefochten, mit dem der Erlass einer Zugunstenentscheidung nach § 44 SGB X abgelehnt wurde, ist richtige Klageart die mit der Verpflichtungsklage verbundene Anfechtungsklage (vgl BSG vom 12.9.2019 - B 11 AL 19/18 R = SozR 4-4300 § 330 Nr 8).
2. Eine Anhörung nach § 24 SGB X ist nicht erforderlich, wenn Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach einer zunächst nur vorläufigen Festsetzung erstmals endgültig festgesetzt werden.
Die Aufhebung eines Beitragsbescheides nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X kommt nur in Betracht, wenn die festgesetzten Beiträge materiell-rechtlich zu Unrecht erhoben wurden.
4. Der förmlichen Aufhebung einer bestandskräftig gewordenen vorläufigen Beitragsfestsetzung bedarf es nicht, unabhängig davon, ob die Behörde berechtigt war, über die Beitragshöhe durch einstweiligen Verwaltungsakt zu entscheiden.
4. Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung und Einnahmen aus Kapitalvermögen sind den beitragspflichtigen Einnahmen nach Abzug von Werbungskosten zuzurechnen.
5. Bei der Bemessung des Arbeitseinkommens ist ein Verlustvortrag nach § 10d EStG nicht zu berücksichtigen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 08.08.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine rückwirkende bzw endgültige Festsetzung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit von Dezember 2011 bis November 2016.
Die 1957 geborene Klägerin ist bei der Beklagten zu 1) als Selbständige freiwillig gesetzlich krankenversichert und bei der Beklagten zu 2) pflegeversichert. Sie beantwortete zuletzt mit Schreiben vom 12.04.2010 eine Einkommensanfrage der Beklagten unter Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2008. Mit Bescheid vom 05.05.2010 setzte die Beklagte zu 1) die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.09.2008 nach Zeiträumen gestaffelt neu fest. Für die Zeit ab 01.01.2010 setzte die Beklagte zu 1) den Beitrag auf Grundlage der Mindestbemessungsgrenze (851,67 €) fest, weil die im Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2008 ausgewiesenen Einkünfte unter der Mindestbemessungsgrenze lagen. Der Beitrag zur Krankenversicherung wurde mit 121,79 € und für die Pflegeversicherung mit 16,61 € festgesetzt. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, künftige Einkommensveränderungen rechtzeitig mitzuteilen. Dieser Aufforderung kam die Klägerin zunächst nicht nach. Erst im November 2016 legte sie der Beklagten zu 1) die Einkommensteuerbescheide für die Jahre ab 2009 vor.
Für die Zeit ab dem Jahr 2011 erließ die Beklagte zu 1) dennoch weitere Beitragsbescheide. Sie passte die Beiträge der Klägerin zur Kranken- und Pflegeversicherung mit Bescheiden vom 14.01.2011 ab 01.01.2011, vom 09.02.2012 ab 01.01.2012, vom 06.02.2013 ab 01.01.2013, vom 31.01.2014 ab 01.01.2014, vom 03.02.2015 ab 01.01.2015 und vom 01.02.2016 ab 01.01.2016 an die Änderungen der Rechengrößen in der Sozialversicherung an. Die Bescheide aus den Jahren 2012 bis 2016 ergingen auch im Namen der Pflegekasse. Die Bescheide vom 14.01.2011 und vom 09.02.2012 enthielten folgenden Hinweis: „Die Beitragseinstufung ist ohne die erforderlichen amtlichen Unterlagen erfolgt. Dieser Beitragsbescheid wird unter Vorbehalt nach § 32 SGB X erlassen. Eine endgültige Bescheiderteilung erfolgt, wenn Sie uns amtliche Unterlagen (Einkommensteuerbescheid) einreichen.“ Die Bescheide für die Jahre 2013 bis 2016 enthielten den Hinweis, dass die Festsetzungen unter Vorbehalt erfolgen. Die Klägerin wurde aufgefordert, zukünftige Einkommensänderungen jeweils mitzuteilen.
Nachdem die Klägerin im November 2016 die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre ab 2009 der Beklagten zu 1) vorgelegt hatte, machten die Beklagten mit Bescheid vom 09.11.2016 für die Zeit vom 01.12.2011 bis zum 09.11.2016 einen Beitragsrückstand in Höhe von insgesamt 15.638,39 € geltend. Die Beklagte zu 1) setzte - auch im Namen der Beklagten zu 2) - für den Zeitraum ab 01.12.2011 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wie folgt neu fest:
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ab |
von den Beklagten als monatliches Einkommen zugrunde gelegter Betrag |
Beiträge Krankenversicherung / Pflegeversicherung |
01.12.2011 |
2.791,33 € |
KV 415,91 € PV 54,43 € |
01.05.2012 |
2.466,34 € |
KV 367,48 € PV 48,09 € |
01.01.2013 |
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KV 367,48 € PV 50,56 € |
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