Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. bestandskräftige Honorarbescheide. Ermessen. rückwirkend höhere Vergütungen von psychotherapeutischen Leistungen
Orientierungssatz
1. Die Entscheidung, ob auch die zeitabhängigen und genehmigungsbedürftigen Leistungen der Delegationspsychologen, die Honorarbescheide (hier: Quartale I/95 - I/96) bestandkräftig werden ließen, rückwirkend mit einem Punktwert von zehn Pfennig zu vergüten sind, steht im Ermessen einer Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV).
2. Bei der Ermessensausübung ist es nicht ausreichend, wenn sich eine KÄV pauschal auf einen nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand und unzumutbare finanzielle Auswirkungen bei den anderen Vertragsärzten beruft.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger unter teilweiser Rücknahme bestandskräftiger Honorarbescheide Anspruch auf höhere Vergütung der von ihm in den Quartalen 1/95 bis 1/96 erbrachten zeitabhängigen und genehmigungsbedürftigen psychotherapeutischen Leistungen hat.
Der Kläger ist Diplom-Psychologe. In den streitigen Quartalen 1/95 bis 1/96 nahm er am Delegationsverfahren teil und rechnete über die Beklagte ab. Im Quartal 1/96 wechselte er in den Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern.
Widersprüche des Klägers gegen Abrechnungsbescheide der Quartale 2/90 und 3/90 (Ersatzkassen) und des Quartals 2/94, mit welchem er die Vergütung der psychotherapeutischen Leistungen mit einem höheren Punktwert begehrte, wies der Vorstand der Beklagten zurück. Im Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1995 betreffend den Abrechnungsbescheid vom 17. Oktober 1994 für das Quartal 2/94 verwies er darauf, dass seit dem In-Kraft-Treten des Gesundheits-Strukturgesetzes (GSG) zum 1. Januar 1993 die Vergütung der psychotherapeutischen Leistungen mit einem Einzelleistungs-Punktwert nicht mehr möglich sei. Gegen diese Widerspruchsbescheide erhob der Kläger keine Klage.
Für die Quartale 1/95 bis 1/96 setzte die Beklagte die Vergütung des Klägers wie folgt fest:
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Quartal 1/95 |
DM 13.302,07 |
Honorarbescheid vom 17. Juli 1995 |
Quartal 2/95 |
DM 14.479,47 |
Honorarbescheid vom 16. Oktober 1995 |
Quartal 3/95 |
DM 7.562,65 |
Honorarbescheid vom 15. Januar 1996 |
Quartal 4/95 |
DM 12.348,10 |
Honorarbescheid vom 15. April 1996 |
Quartal 1/96 |
DM 6.148,00 |
Honorarbescheid vom 25. Juli 1996 |
Die Vergütung für das Quartal 1/96 berechnete die Beklagte nach Aufhebung der Teilbudgetierung neu und setzte sie auf DM 5.970,51 fest (Honorarbescheid vom 6. April 1998). Die Leistungen wurden mit folgenden Punktwerten (in Pfennig) vergütet:
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Quartal |
Primärkassen (ohne IKK) |
IKK |
Ersatzkassen |
1/95 |
8,2587 |
8,2587 |
8,6604 |
2/95 |
8,0440 |
8,0440 |
9,0791 |
3/95 |
8,0699 |
8,0699 |
8,8519 |
4/95 |
7,9248 |
7,9248 |
9,013 |
1/96 |
8,00 |
9,50 |
8,00 |
Widerspruch erhob der Kläger nur gegen den Honorarbescheid vom 17. Juli 1995 betreffend das Quartal 1/95 wegen der Berechnung der GNR. 870 EBM. Den Widerspruch nahm der Kläger am 31. Oktober 1995 wieder zurück. Gegen die weiteren Honorarbescheide erhob er keine Widersprüche.
Nachdem das BSG mit den Urteilen vom 20. Januar 1999 (SozR 3-2500 § 85 Nr. 29) und 25. August 1999 (SozR 3-2500 § 85 Nr. 33) entschieden hatte, dass Vertragsärzte und Psychotherapeuten, die überwiegend bzw. ausschließlich psychotherapeutisch tätig sind, grundsätzlich Anspruch auf Honorierung der zeitabhängigen und genehmigungsbedürftigen Leistungen des Kapitel G Abschnitt IV des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM) mit einem Punktwert von 10 Pfennig haben, beantragte der Kläger am 30. Dezember 1999, die ab dem Quartal 1/93 bis zum 31. März 1996 ergangenen Vergütungsbescheide sowie die späteren Bescheide, die diesen Zeitraum betreffen, aufzuheben, soweit eine Vergütung unter 10 Pfennig festgesetzt wurde, und die entsprechenden Beträge nachzuvergüten (Schreiben vom 22. Dezember 1999). Der Vorstand der Beklagten lehnte diesen Antrag des Klägers ab (Bescheid vom 6. Juni 2000) und wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. November 2000). Das ihm (dem Vorstand) im Rahmen des Verfahrens nach § 44 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) eingeräumte Ermessen habe er fehlerfrei ausgeübt. Denn die Entscheidung, bestandskräftige Honorarbescheide nicht aufzuheben, sei auf sachgerechte Erwägungen gestützt. Insbesondere sei nicht zu beanstanden, dass sie (die Beklagte) die finanziellen Auswirkungen im Falle einer für jeden Antragsteller positiven Entscheidung für die Gesamtheit ihrer Mitglieder in Zukunft berücksichtige und als ausschlaggebend angesehen habe. Da der Honorarverteilungsmaßstab (HVM) rechtswidrig gewesen sei, seien nicht nur Einzelfälle betroffen. Auf Grund der Vielzahl von Anträgen auf rückwirkende Aufhebung bestandskräftiger Honorarbescheide sehe sie sich mit enormen Rückzahlungsverpflichtungen konfrontiert. Für die Honorarnachzahlungen in dieser immensen Anzahl von vergleichbaren Fällen stünden ihr Gesamtvergütungsanteile aus länger zurückl...