Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Heilmittelversorgung. Erweiterung einer Zulassung zur Erbringung von Ergotherapie für Fachkraft, die ausschließlich Hausbesuche durchführt. Anforderungen an die Praxisausstattung. Vereinbarkeit mit Art 12 Abs 1 GG. keine Bindung der Gerichte an die Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 124 Abs 4 S 1 SGB 5. Zulassungserweiterung ist kein Verwaltungsakt mit Auflage
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Anspruch auf Erweiterung der Zulassung zur Erbringung von Heilmitteln (hier: Ergotherapie) durch eine weitere Fachkraft, die ausschließlich Hausbesuche durchführt.
2. Die Empfehlungen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 124 Abs 4 S 1 SGB V binden die Gerichte nicht.
Orientierungssatz
1. Anforderungen an die Räumlichkeiten im Rahmen der Prüfung der erforderlichen Praxisausstattung gemäß § 124 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB 5 sind mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) grundsätzlich vereinbar (vgl BSG vom 27.3.1996 - 3 RK 25/95 = BSGE 78, 125 = SozR 3-2500 § 124 Nr 5).
2. Bei der begehrten Zulassungserweiterung handelt es sich nicht um eine Auflage iSd § 32 Abs 2 Nr 4 SGB 10 oder einen mit einer Auflage zu versehenden Verwaltungsakt, sondern um eine Inhaltsbestimmung.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 3. Juni 2015 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 4. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2013 verpflichtet, die Zulassung der Klägerin zur Erbringung von Ergotherapie um eine weitere Fachkraft, die im Umfang von 20 Wochenstunden ausschließlich Hausbesuche durchführt, zu erweitern.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge endgültig auf € 5.000,00 festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erweiterung ihrer Zulassung zur Erbringung von Heilmitteln nach § 124 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für den Bereich der Ergotherapie um eine Fachkraft, die im Umfang von 20 Wochenstunden ausschließlich Hausbesuche durchführen soll.
Die Klägerin ist Ergotherapeutin. Ihr ist durch Urkunde der Regierung der Oberpfalz vom 10. September 2004 die Erlaubnis nach § 2 Abs. 1 Ergotherapeutengesetz erteilt worden, die Berufsbezeichnung “Ergotherapeutin„ zu führen. Die Klägerin betreibt seit dem 1. Juni 2011 eine Praxis für Ergotherapie, für die sie im Haus ihres Ehemannes in der L.-straße in U. Räume angemietet hat (Mietvertrag vom 21. Juni 2011). Die gesamte Nutzungsfläche der Praxisräume beträgt 46 qm. Hiervon umfassen ein Behandlungsraum 21,5 qm und ein anderer Raum 9,2 qm. Die Beklagte, ein Landesverband der Krankenkassen, erteilte der Klägerin antragsgemäß mit Bescheid vom 29. Juni 2011 mit Wirkung ab 1. Juli 2011 die Zulassung als Ergotherapeutin für ihre Praxis in der L.-straße in U.. Unter dem 21. Juni 2011 hatte die Klägerin durch ihre Unterschrift den zwischen dem Deutschen Verband der Ergotherapeuten (Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten) e.V. einerseits und der Beklagten und weiteren Sozialversicherungsträgern andererseits abgeschlossenen Rahmenvertrag vom 1. Juli 2002 in der jeweils gültigen Fassung mit allen Anlagen und evtl. Protokollnotizen einschließlich der jeweils gültigen Preisvereinbarung anerkannt und sich verpflichtet, die zwischen den Vertragspartner eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen.
Am 2. Mai 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erweiterung ihrer Zulassung auf eine weitere Therapeutin, die ausschließlich Hausbesuche durchführen und 20 Wochenstunden arbeiten werde. Geplant sei eine Tätigkeit als freie Mitarbeiterin.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 4. Juni 2013 ab. Der allgemeine Teil der Zulassungsvoraussetzungen (gemeint: “Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes gemäß § 124 Abs. 4 SGB V zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 124 Abs. 2 SGB V für Leistungserbringer von Heilmitteln, die als Dienstleistung an Versicherte abgegeben werden [Zulassungsempfehlungen]„ in der Fassung vom 1. März 2012; inzwischen in das Fassung vom 7. März 2016) regele die Anforderung an die fachliche Leitung einer Heilmittelpraxis. Der Zugelassene/die fachliche Leitung habe in seiner/ihrer Praxis ganztätig als Behandler zu Verfügung zu stehen oder die qualifizierte Durchführung der Behandlung der Anspruchsberechtigter anderweitig sicher zu stellen. Davon ausgehend könnten in der Praxis der Klägerin keine weiteren Mitarbeiter tätig bzw. beschäftigt werden. Die Beklagte verwies auf die “Zulassungsvoraussetzungen (räumliche Mindestvoraussetzungen)„.
Hiergegen erhob die Klägerin am 5. Juli 2013 Widerspruch. Eine Präsenzpflicht im Sinne einer ganztätigen Anwesenheit in der Praxis werde durch den Wortlaut der Zulassungsempfehlungen nicht gefordert. Der Begriff “gleichzeitig tätig„ in Teil 2 Nr. 2.1.3 der Zulassungsempfehlunge...