Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufskrankheit. haftungsausfüllende Kausalität. wesentliche Teilursache. Anlageleiden. bandscheibenbedingte Erkrankung der Wirbelsäule
Orientierungssatz
Bei der Berufskrankheit 2108 handelt es sich um eine Erkrankung multifaktorieller Ätiologie, die durch das Zusammenwirken beruflicher, außerberuflicher und anlagebedingter Faktoren entsteht. Deren Feststellung ist nur dann möglich, wenn Lokalisation und erwartbare Überbelastungswirkungen korrespondieren. Liegen hingegen an der gesamten Wirbelsäule und/oder den großen Gelenken gleichmäßig verteilte degenerative Veränderungen vor, so spricht dies gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen und einer vorhandenen Gesundheitsstörung. Insbesondere weist eine polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung mit Beteiligung der Hals- und/oder der Brustwirbelsäule auf eine stark konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hin. Nur ausnahmsweise ist in diesen Fällen eine Anerkennung der beruflichen Einflüsse als wesentliche Teilursache möglich, wenn ausgeprägte arbeitsplatzbezogene Einwirkungen bestanden haben und die Erkrankung im LWS-Bereich erkennbar einen größeren Schweregrad erreicht hat als in den anderen Wirbelsäulenabschnitten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung einer Berufskrankheit i.S. der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKVO - (berufsbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) sowie die Gewährung von Verletztenrente.
Der im September geborene Kläger erlernte ab April 1955 den Beruf des Feinblechners. Danach war er seinen Angaben zufolge - abgesehen von Zeiten der Arbeitslosigkeit und Krankheit - vorwiegend als Schlosser, Heizungs- und Lüftungsbauer, Schweißer und Isolierer beschäftigt. Zuletzt arbeitete er vom 19. Mai 1987 bis 22. April 1988 bei der Firma P -Zeitarbeit, S, als Sanitärinstallateur sowie vom 25. April bis 08. Juli 1988 bei der Firma S, W -T, als Heizungs- und Lüftungsmonteur. Seit August 1988 erhält er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Am 11. Juni 1993 beantragte der Kläger, die bei ihm bestehende bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, die im März 1986 zu einer Bandscheibenoperation im Bereich L5/S1 geführt habe, als Berufskrankheit anzuerkennen: Bereits seit 1984 leide er an ständigen Wirbelsäulenbeschwerden, die auf seine beruflichen Tätigkeiten und damit verbundene schwere Hebe- und Tragebelastungen zurückzuführen seien.
Im Rahmen der daraufhin eingeleiteten Ermittlungen zog die Beklagte neben zahlreichen Arztbriefen Unterlagen des Versorgungsamtes R und der Allgemeinen Ortskrankenkassen R -M und S sowie Kurentlassungsberichte der Fachklinik Z, A T, und der Schloßpark-Klinik, B W, vom 19. Dezember 1985 bzw. 09. Juni 1986 bei.
Im Anschluß daran erstellten Prof. Dr. W und Priv.-Doz. Dr. H am 08. April 1994 ein orthopädisches Gutachten, in dem sie degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule, erhebliche degenerative Veränderungen im Bereich der gesamten Brustwirbelsäule mit blockierender Spangenbildung der unteren Brustwirbelsäule, degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule mäßigen Ausmaßes bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L5/S1, eine mäßige Arthrose beider Hüft- und Kniegelenke sowie eine Retropatellararthrose beidseits bei Zustand nach Verlagerung des Kniebandhöckers am rechten (gemeint ist wohl am linken) Schienbeinkopf beschrieben. Die gesamte Wirbelsäule sei mäßig bewegungseingeschränkt, neurologische Ausfälle seien nicht feststellbar. Ein Ursachenzusammenhang zwischen den beruflichen Tätigkeiten des Klägers und der LWS-Erkrankung - die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit i.S. der Nr. 2108 unterstellt - liege nicht vor. Hierfür sei zu fordern, daß der durch die belastende Tätigkeit in der Hauptsache betroffene Wirbelsäulenabschnitt in mono- oder oligosegmentaler Weise ein Vorauseilen oder alleiniges Auftreten der Erkrankungszeichen zeige. Beim Kläger hingegen bestehe eine von beruflichen Einwirkungen unabhängige allgemeine Grunderkrankung des Skelettsystems (generalisierte Arthrose der gesamten Wirbelsäule mit Betonung der unteren Brustwirbelsäule und des Übergangs zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule; Arthrose der lasttragenden großen Gelenke) bzw. eine diesbezügliche stark ausgeprägte Krankheitsanlage, so daß ein Fortschreiten der Erkrankung auch durch im täglichen Leben vorkommende gewöhnliche Belastungen ausgelöst worden wäre. Demgegenüber seien die nachgewiesenen beruflichen Einwirkungen nicht besonders stark ausgeprägt gewesen; eine vergleichbare Schädigung wäre deshalb auch ohne ihr Vorhandensein zu erwarten gewesen. Zu unterstellen sei jedoch, daß die beruflichen Belastungen eine Verschlimmerung der degenerativen Wirbelsäulenerkrankung (hier: Bandscheibenvorfall L5/S1) bewirkt hätten. Allerdings habe es sich lediglich um eine vorübergehende Verschlimmerung gehandelt, die nach Ausheilung der erfolgreich durchgeführten Operation in den schicksal...